Willkommen bei den Jüngern der Schwarzen Kunst!

Das gewaltige Durcheinander vor meinen Füßen, die bleiernen Lettern, Bruchstücke von Wörtern, das Tohuwabohu an Wortzwischenräumen und Zeilenabständen, die in sich zusammengefallene Buchseite, das hätte man zur Zeit Balzacs einen „Eierkuchen“ genannt, zumindest die deutschen Kollegen sagten das, wie es auf Französisch lautet, wer weiß das schon? Ich kann jetzt nicht recherchieren; dabei versiegt mein bisschen Kraft, die ich brauche, das Traumbild von heute Morgen zu erklären: Auf einem offenen Pritschenwagen saßen 16 unwillige junge Männer mit nackten Oberkörpern und Gewehren. Sie sagten, sie würden nicht mehr für die „Bären“ arbeiten.

Nach Honoré de Balzac meinten sie mit den Bären wohl die Buchdrucker, deren Hin- und Her zwischen dem Einschwärzen der Druckformen und der Druckmaschine ihn an im Käfig herumtapsende Bären erinnert haben. Damit so ein Bär ein ganzes Buch drucken konnte, 16 Seiten pro Bogen, mussten 16 Schriftsetzer für ihn herumspringen. Sie wurden von den Bären „Affen“ genannt, wegen der Affengeschwindigkeit, mit der sie die Lettern aus den Fächern der Setzkästen zusammenklaubten zu Wörtern, Zeilen, ganzen Kolumnen, um letztlich eine Buchseite zu bauen.

120 Jahre nach Balzack konnte ich die streikenden Affen verstehen, als ich bei der Gesellenprüfung im Jahr 1967 noch eine Probe im Schnellsatz ablegen musste. Die Herausforderung: Zu schaffen waren 1450 Zeichen pro Stunde. (Abzug je Fehler) Dabei gab es seit 1886 die Linotype-Setzmaschine. Ein fähiger Bediener schaffte 6000 Zeichen pro Stunde, war als mehr als viermal so schnell wie der Handsetzer. Um die Welt der Bären und Affen geht es im Roman „Jünger der Schwarzen Kunst.“ Um ihn nach vielen Anläufen endlich fertigzustellen, die ersten Aufzeichnungen entstammen den 1980-er Jahren, musste ich mich bedauerlicher Weise für eine Weile aus der Blogcommunity zurückziehen. Die letzte Woche legte mich ein grippaler Infekt flach. Daher auch der Fiebertraum. Hier also die Reklame komplett in der Verlagsvorschau oder vom Klappentext. Mit den Worten Lichtenbergs: „Wer zwei Paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an.“

Ein faszinierender Roman entführt in eine vergessene Welt, in der das mittelalterliche Handwerk des Bleisatzes noch lebendig ist. Der technologische Umbruch im grafischen Gewerbe und das Ende der Bleizeit zeichnen sich bereits ab. Es sind die Jahre vor den 68-er-Unruhen. Hannes Overlack, ein Junge vom Land, muss sich in einer skurrilen Gemeinschaft von Schriftsetzern behaupten, bei den letzten Jüngern der Schwarzen Kunst.
Der Roman erzählt von seiner Bildung und Reifung als Schriftsetzerlehrling. Hannes begegnet vielfältigen Phänomenen der Schriftsprache und erlernt Prinzipien
der Drucksachengestaltung, die bis in das digitaleZeitalter hinein ihre Gültigkeit behalten haben. Die Handlung des Romans streift historische Ereignisse, darunter das Wirtschaftsverbrechen, das Johannes Gutenberg um die Früchte seines Erfolgs
brachte. Am Beispiel des gedruckten Hexenhammers wird deutlich, dass der Buchdruck nicht nur Segen, sondern auch Wahn, Verfolgung, Folter und sogar
Mord mit sich brachte. Zudem wird das Rätsel gelüftet, warum die Frakturschrift im Nationalsozialismus verboten wurde.
Der Autor legt großen Wert auf Anschaulichkeit. Zahlreiche Illustrationen bereichern den Roman und schaffen ein lebendiges Bild der frühen 1960-er Jahre. Auf knapp 210 Seiten entfaltet sich zwischen dem Blei der Schwarzen Kunst ein farbenprächtiger Bilderbogen.
Dieser autobiografische Roman ist wahrhaft vergnüglich erzählt und lädt zu einer unvergesslichen Reise in die Vergangenheit ein.

4 Kommentare zu “Willkommen bei den Jüngern der Schwarzen Kunst!

  1. Glückwunsch, lieber Jules. Obwohl ich ehrlicherweise mich selbst beglückwünsche, dass ich diese Buch gerade bestellen konnte und mich sehr darüber freue.
    Ich freue mich darauf es zu lesen!
    Liebe Grüße
    P.S. Die Altersempfehlung „ab 1 Jahr“ gefällt mir. Ehrlich. Ein jeder sollte einen Jules zu Hause haben 🙂

    Gefällt 2 Personen

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..