Es gibt einige Romane, die ich mehrmals gelesen habe, denn in einer langen Biographie als Leser kann man schon mal vergessen, was sich zwischen den Buchdeckeln befindet. Ein Buch, das man als Mittdreißiger gelesen hat, liest man 30 Jahre später wie neu und natürlich auch mit einem anderen Verständnis. »Du steigst nicht zweimal in denselben Fluss«, sagt schon Heraklit. Sowohl man selbst hat sich verändert als auch der Fluss, der beständig aus anderen Wassern besteht und nur durch seinen Namen, sein Bett und seinen Verlauf definiert ist.
Dass ein Buch sich ständig neu schriebe, dass es zwar weiterhin Buchstaben und Wörter in der gleichen Typografie enthielte, dass aber stets alles neu gemischt würde, erwarten wir vom gedruckten Buch nicht. Anders als dem digitalen Text mangelt es dem gedruckten an Dynamik. Hier nun schließen sich Überlegungen an, die eigentlich nicht in meiner Absicht lagen, aber sich so nah am Ufer aufhielten, dass sie quasi mitgeschwemmt wurden. Theoretisch, liebe Leserin, lieber Leser, könnte ich den vorliegenden digitalen Text ständig ändern, so dass er beim erneuten Aufrufen einen anderen Inhalt enthielte, beispielsweise Gedanken über den Konjunktiv und die anderen grammatischen Distanzformen des Deutschen. Ich würde einfach Überschrift und den ersten Satz unverändert lassen und darauf vertrauen, dass man nach dem ersten Lesen längst vergessen hätte, was da einst gestanden hat. Allerdings will ich Ihnen das Experiment für heute ersparen. Denn mein eigentliches Thema sollen Wiederholungen des immer Gleichen sein, was wir in unserer kindlichen Naivität offenbar zu sehr lieben, wenn man sich das Programm des deutschen Fernsehens ansieht.
In den 1980-er Jahren zu Zeiten der gedruckten TV-Zeitung wurde hinter den Filmen immer noch die Anzahl der Wiederholungen oder zumindest das Datum der letzten Wiederholung angegeben. Leider wurde dieser nützliche Service eingestellt, vielleicht weil die schiere Anzahl der Wiederholungen kaum noch nachzuvollziehen ist. Namentlich in den dritten Programmen bzw. Spartensendern der Öffentlich-Rechtlichen werden die Folgen beliebter Serien scheinbar willkürlich wiederholt, so dass beispielsweise gestern Abend in der Reihe „Inspektor Barnaby“ auf ZDF-Neo die Folge „Haus voller Hass“ aus dem Jahr 2004 wiederholt wurde, in der man gerade fleißig Weihnachten feierte“, eine befremdliche Erfahrung. Derweil es in der Natur aufs Schönste sprießt und blüht, erklangen im Film die Weihnachtlieder, wurden Weihnachtsbeleuchtungen eingeschaltet und die Leute saßen mit lustigen Hüten um gedeckte Tafeln.
Ob man sich in den Sendeanstalten keine Gedanken darüber macht, wann man einen TV-Film wiederholt? Gibt es Programmplaner oder lässt man einen Affen durch die Archive toben und sendet, was er in seinem Übermut aus den Regalen gerissen hat? Nein, wird man sagen, der Aff hat zwei Tage Urlaub, und die Wahl der Weihnachtsfolge für den 23. April hatte überdies gute Gründe. Sehnen wir uns nicht gerade jetzt zurück in die Weihnachtszeit? Sind uns die ersten Monate nicht viel zu schnell verrauscht? Ist es nicht schön zu wissen, dass die Zeit zwar vorbeirasen mag, Weihnachten 2004 aber immer noch da ist? Es existiert in einer anderen Dimension, wo nämlich die verschiedenen Zustände der Welt nicht linear ablaufen, sondern hübsch nebeneinander in Regalen liegen, wenn nicht gerade der Programmplaner-Affe mal wieder alles durcheinander geworfen hat.