Der letzte Tag im Juli

In der Nacht drei, vier, fünf unwirkliche Donnerschläge, als wäre die himmlische Pauke zu straff gespannt. Ein Aufblitzen am Himmel. Ich liege wach und vermisse den passenden Donner. Beim Gewitter nur Coitus Interruptus. Die Bäume stehen still wie vorwurfsvoll und vermissen den erlösenden Regen. Ganz sicher fällt nicht ein Tropfen, denke ich vor dem Einschlafen, erwache mit dem gleichen Gedanken und bin überrascht, dass mindestens fünf Tropfen niedergegangen sind und die Welt ein wenig befeuchtet haben. Beim Bäcker muss ich einen Euro, drei Cent bezahlen. Ich gebe 73 Cent, weil ich mal wieder eine Zwanzigcentmünze mit der 50-er verwechselt habe. Die Bäckereifachverkäuferin nimmt es mir nicht übel. Vermutlich sieht sie mir den Schussel schon seit längerem an. Aber schuld sind die gewiss fürstlich entlohnten Geistesriesen, die es nicht hingekriegt haben, den Eurocentmünzen ein unverwechselbares Aussehen zu geben. Man gibt sich halt nicht gern mit Kleingeld ab.

Freundin Anna schenkte mir einst einen Stoffbeutel für die Brötchen. Ich nehme ihn allmorgendlich mit, vergesse ihn aber oft, in der Bäckerei vorzulegen. Nicht so heute morgen. Da legte ich ihn stumm auf die Theke, und die Bäckereifrau stopfte ungefragt zwei Brötchen hinein. „Ich brauche gar nichts mehr zu sagen“, sagte ich.
„Nein, es ist prima für den Fall, dass Sie mal heiser werden und die Stimme verlieren.“
Ich muss an meinen dramatischen Stimmverlust vor nun mehr sechs Jahren denken.

Am frühen Nachmittag nehme ich den Fußweg durch den Grünstreifen entlang der Rampenstraße. Zu meinen Füßen raschelt vertrocknetes Laub der Kastanien wie im Herbst.
„Darf ich Sie mal etwas Persönliches fragen“, fragt ein junger Mann. Er ist vermutlich türkischstämmig und ein durchweg schöner Mensch.
„Ja.“
„Glauben Sie an Gott?“
„Nein, ich glaube an gar nichts.“
„Siehst du“, sagte er zum anderen hingewandt, der auf einem Mäuerchen sitzt.
„Dann glauben Sie an sich. An irgendwas glaubt jeder Mensch.“
Ich bin unschlüssig. Nach Herzinfarkt und Schlaganfall hatte ich mir eine Weile nicht mehr vertraut. Aber heute, ja, ich glaube wieder an mich, obwohl es etwas anderes ist als transzendenter Glaube an einen imaginären Gott.“
„Sie sind ja … nicht mehr jung…“
„Ja, ich bin schon alt.“
„Machen Sie sich keine Gedanken über den Tod?“
„Nicht über das danach. Ich glaube, dass danach gar nichts mehr kommt.“
„Da irren Sie sich. Glauben Sie auch nicht an die Hölle, an den Teufel?“
„Nein.“
„Das ist seine stärkste Waffe.“
Ich könnte ihm jetzt sagen, dass das ein Zirkelschluss ist, aber lasse es lieber, weil ich fürchte, dass er das nicht versteht. Mein Vorurteil gegen schöne junge Männer, wie es mir die Schülerin Isabel in den Kopf gesetzt hat. Ich verabschiede mich und gehe einkaufen. Unterwegs denke ich, dass der Iman, der ihm eingeredet hat, des Teufels stärkste Waffe sei der Unglaube, doch wissen müsste, dass Gläubige durch derlei Scheinbeweise buchstäblich in einen Teufelskreis geraten. Wenn er es trotzdem predigt – das finde ich mindestens unethisch.