Eisenherz ist da – die elektrische Zahnbürste fehlt noch

Freitag Morgen lag auf meinen frisch abgezogenen Dielen ein Fetzen, den ich zunächst als Erscheinung im Holz angesehen habe. Doch aus der Nähe entpuppte sich der Fetzen als Rest des Umschlags eines Comicheftes. Obwohl nur das Fragment einer Hand zu sehen ist, erkannte ich an Farbgebung und Druck sofort, woher der Fetzen stammte, konnte mir jedoch nicht erklären, wie er den Weg auf den Dielenboden gefunden hatte. Zudem fiel mir ein, dass ich das dazugehörige Buch lange nicht gesehen hatte. Zumindest hätte ich es einmal in der Hand haben müssen, als ich mein Bücherregal einräumte. In der Bücherwand fand ich das Buch erwartungsgemäß nicht. Wo ist es hingekommen?

Versuch einer Rekonstruktion:
Ich muss etwa zehn Jahre gewesen sein, da schenkte der Freund meines älteren Bruders, es war vermutlich der dicke Kalckmann, uns fünf etwa DIN-A4 große Comichefte der Serie „Prinz Eisenherz“, die Bände eins bis sieben. Ich war begeistert von den präzis gezeichneten, historisch genauen Panels. Der Zeichner war der US/kanadische Comicautor Hal Foster (1892 – 1982). Ursprünglich als ganzseitige Zeitungs-Sonntagsbeilage konzipiert, erschien ab 1937 wöchentlich nur eine Folge. Als Foster im Alter von 78 Jahren mit der Arbeit aufhörte, hatte er 1.788 Seiten Prinz Eisenherz gezeichnet und getextet. Prinz Eisenherz ist nach klassischer Definition kein Comic, weil die Texte nicht in Sprechblasen stehen. Die Geschichte wird unter den Bildern erzählt.

Prinz Eisenherz (im englischen Original „Prince Valiant“) ist demnach eine Bildgeschichte. Als deren Vorform gilt der Teppich von Bayeux aus dem frühen Mittelalter. Auf 68 Metern wird in 58 Bildfolgen und beigefügten Spruchbändern die Eroberung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm der Eroberer dargestellt. Ursprünglich muss der gestickte Tuchstreifen noch länger gewesen sein, denn wichtige Schlussszenen fehlen. Bei Wikipedia ist das eindrucksvolle Kulturgut in der erhaltenen Länge zu sehen.

Zurück zu meinen Prinz-Eisenherz-Heften. Vor längerer Zeit waren die kartonierten Umschläge schon ziemlich unansehnlich. Im „Wahn“ habe ich Hefte herausgelöst und recht unschön zu einem Buch gebunden. Ich habe die wohl in den 1950-er Jahren im Badischen Verlag erschienen Hefte immer sorgfältig verwahrt, kann mir ihr Verschwinden also nicht erklären. Nach meinem Umzug suche ich manche Dinge immer noch, muss herausfinden, wo einer der vielen Helferinnen und Helfern sie hingepackt hat. Heute suchte ich meine elektrische Zahnbürste und fand in einer Schublade – Prinz Eisenherz. Welche Freude. Ich werde die Hefte von der Nachbarin meiner Freundin schön binden lassen.

Kein Signal

Am 16. Dezember 2008 saß ich, aus Aachen kommend, zwischen Umzugskartons und zerlegten Möbeln in meiner neuen Wohnung in Hannover-Linden. Was in den Tagen darauf als Erstes entstand, war meine neue Bücherwand. Gut 14 Tage ohne Fernsehen und Internet fand ich Ablenkung und Kurzweil allein bei meinen rasch und willkürlich einsortierten Büchern. Es war eine glückliche Zeit. Ich will nicht behaupten, dass sie endete, als ich wieder Zugang zum Internet hatte. Wenn im Internet so etwas wie Glück zu finden ist, dann ist es ein anderes Glück, eines, das immer neue Impulse braucht, weil es wie ein Streichholz aufflammt und verraucht ist, bevor man sich darüber die Hände gewärmt hat.

Zurück in die fassbare Realität. Inzwischen bin ich in die besser geschnittene und frisch renovierte Nachbarwohnung umgezogen. Dank lieber Helferinnen und Helfer ist fast alles an seinem Platz. Die Bücherwand ist prächtiger als zuvor, denn sie ist von Ballast befreit, und ich nutzte die Gelegenheit, die Bücher endlich alphabetisch zu ordnen. In der neuen Wohnung gibt es jedoch ein technisches Problem. TV geht gar nicht, weil über die vorhandene Steckdose kein brauchbares Signal ankomme, so dass ein neues Kabel gezogen werden müsse, behauptete gestern ein Techniker. Übrigens habe ich selten so einen ungehobelten Kerl hereinlassen müssen wie diesen Steigbügelhalter auf das Schaukelpferd der Surrogate. Bestünde das Heer der Kabeltechniker nur aus solch finsteren Typen, hätte sich wohl kein Mensch von Verstand und Geschmack überhaupt ans Internet anschließen lassen. Ich hoffe, für meinen Internetzugang sind keine baulichen Maßnahmen nötig, und der Mann war einfach nur unfähig oder wollte eine teure Dienstleistung verkaufen.

Vorerst steht mein Router noch nebenan in der alten Wohnung. Das heißt, ich werde ab dem 1. Februar vielleicht ohne Fernsehen und Internet sein. Mit dem Gedanken freunde ich mich gerade an. Das bietet Gelegenheit, mal wieder in Ruhe zu lesen, und die Bücherwand hat wie vor 14 Jahren meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Gestern Abend kam zu einer Stippvisite Freund Konrad Fischer aka Herr Leisetöne aka Spraakvansmaak vorbei und wir redeten über Bücher. Ich zeigte ihm, dass die gebundene Ausgabe der „Handschrift von Saragossa“ von Jan Graf Potocki jetzt neben der hübschen zweibändigen Insel-Taschenbuch-Ausgabe steht, und Literaturkenner Spraakvansmaak erfreute mich mit einer begeisterten Analyse der Bauweise des Romans, bei dem Rahmenhandlung, Binnenerzählung und Binnenerzählungen in Binnenerzählungen so genial miteinander verwoben sind, dass die Ebenen sich vermischen. Ich sagte, dass Herbert Rosendorfer das Prinzip im Roman „Der Ruinenbaumeister“ noch auf die Spitze getrieben hätte. Spraakvansmaak kannte den Roman natürlich auch, und so bot er einen erbaulichen Kontrast zum unheilverkündenden Kabelheini vom Morgen.

Es wäre falsch eine Konkurrenz aufzumachen zwischen der fassbaren und digitalen Welt, denn die Bereiche sind inzwischen stark verwoben. Viele liebe Kontakte sind über das Bloggen entstanden. Auch Freund Spraakvansmaak lernte ich vor gut 12 Jahren über mein Teppichhaus Trithemius bei towday.net kennen. Aber eine Kommunikationsstörung zwischen mir und dem Internet ist manchmal ganz heilsam.

Fremder Planet

Ich fühlte mich schleichend unbehaust in meiner alten Welt. Dann wuchs der Wunsch nach Verbesserung meiner Lebensbedingungen. Als sich eine Gelegenheit anbot, rupfte ich meine alte Welt auseinander, war entschlossen, hier alles aufzugeben, um einen neuen Planeten zu besiedeln. Gewiss gibt es schönere Orte im Kosmos als das Ziel meiner Träume. Aber dieser Ort reicht mir. Meine Bedürfnisse sind gering. Wenn alles bereitet ist, werde ich mich beglückwünschen, den Schritt getan zu haben. Vor Monaten haben Techniker begonnen, den verlassenen Planeten wieder bewohnbar zu machen. Was die Fachleute „Terraforming“ nennen, geschah freilich schon vor über hundert Jahren.

Ich weiß nicht, wer die ersten Siedler waren, weiß nur vom letzten. Nein, er ist nicht im Zweiten Krieg der Sterne umgekommen wie seine Vorgänger, sondern ist unbeschadet ausgewandert, hat glücklicherweise auch jene seltsamen Wesen mitgenommen, die er illegal hergebracht hatte. Wären sie in Freiheit gelangt, hätten sie sich unkontrolliert vermehrt und hätten im Nu den gesamten Planeten erobert. Man kennt das von irdischen Inseln, auf die unvorsichtige Siedler Katzen, Ratten oder andere Tiere gebracht haben. Ohne natürliche Feinde haben sie das gesamte Ökosystem zugrunde gerichtet. Eine derartige Plage hätte meine Übersiedlung unmöglich gemacht.

Obwohl mein neuer Heimatplanet recht einfach zu erreichen ist, ein Wurmloch lässt mich bequem hin- und her pendeln, dauert die Übersiedlung an. So führe ich eine Zwischenexistenz, bin nicht recht hier und nicht richtig dort. Aber ich versuche, mein Leben schon zu verlagern, so gut es geht, um mich an die Verlassenheit zu gewöhnen. Auf meinem neuen Planeten wäre außer mir niemand. Weil er mir nicht vertraut ist, fühle ich mich in die Welt geworfen und mir ist unheimlich.

Kürzlich erstarrte ich. Ein Schauer zog über meinen Rücken und ließ mich aufhorchen. Da waren Schritte, wanderten hierhin, dorthin. Ich blickte mich vergeblich um und rief: „Hallo! Ist da jemand?!“ Keine Antwort. Nur Schritte, wo sie nicht hätten sein dürfen. Sollte ich doch nicht allein sein? Eventuell wird der Urheber der Schritte vom Spektrum dieser Sonne nicht erfasst. Dann wäre dieser heimliche Mitbewohner nicht von diesem Planeten, sondern wie ich nur zugereist. Oder mein Augenlicht wäre ungeeignet, das Wesen zu sehen. Aber wie ist es umgekehrt? Kann es mich sehen? Steht es gerade jetzt neben mir und betrachtet mich, hat sich angeschlichen und beobachtet all mein Tun?

Von der Erde kenne ich das Gefühl. Vor Äonen wurde ich als Katholik erzogen. Da wurde mir Kind gesagt: „Der liebe Gott sieht alles.“ Alles? Nach katholischer Lehre findet Gott des Menschen Nacktheit grundsätzlich unkeusch, weshalb schon Adam und Eva sich schämten. Als Kind stellte ich mir vor, wenn dieser Gott nackte Menschen sehen würde, hätte er, wo die unkeuschen Stellen sind, einen blinden Fleck. Dass er nicht alles sehen kann, was er angeblich selbst geschaffen hat, ließ mich an seiner Allmacht zweifeln.

Welche Macht hat ein Wesen, das nur Schritt ist? Ich werde es herausfinden, wenn mein Umzug in die prächtig renovierte Nachbarwohnung geschafft ist.

Sternschnuppen im Herbst, freie Wünsche und Wurst

Meine lieben Damen und Herren! Bitte geben Sie mir einen Schubs, damit ich Ihnen ein launiges Produkt aus dem Teestübchen liefern kann. Danke. Ich hörte einen Mann sagen: „Man muss akzeptieren, dass Herbst ist“ und dachte: Früher wurden die Überbringer schlechter Nachrichten geschlagen oder sogar erschlagen, ein leider in Vergessenheit geratener Brauch. Allerdings war dieser Mann nicht der Überbringer, sondern hat nur ausgesprochen, was jeder sehen kann, wenn die Dämmerung so früh herabsinkt und die Blätter von den Bäumen tropfen.

Einmal im Herbst, zu lang ist’s her, sah ich in zauberhafter Begleitung fünf Sternschnuppen am klaren Nachthimmel. Wir waren extra zur Dornröschenbrücke gegangen, um über dem weiten Tal der Leine die angekündigten Sternschnuppen zu sehen. Eine Sternschnuppe ging so flach nieder und verlosch so spät, dass man meinen konnte, die Reste dieses streunenden Himmelskörpers wären einem auf den Kopf gefallen. Ich glaube, der Pechvogel war ich. Und es ging so schnell, dass ich vergaß, mir etwas zu wünschen, vielmehr ich wünschte mir nur noch, den Dachschaden zu begrenzen. Das zum Thema, du hast einen Wunsch frei.

Ich las mal eine Geschichte von einer Frau, die drei Wünsche frei hatte. Falls jetzt jemand die Geschichte erwartet, ich kriege sie nicht mehr zusammen. Jedenfalls hatte die Frau nach dem zweiten törichten Wunsch als Nase eine Wurst. Stellen wir uns eine dicke fette Weißwurst vor, eine aus echtem Schweinsdarm prallvoll gefüllt mit Gekröse, so eine Nase hatte die Frau. Da brauchte sie natürlich den dritten Wunsch, um ihre alte Nase zurück zu bekommen.

Man muss halt vorsichtig sein mit Wünschen. Als ich auf dem Sprung war, von Aachen nach Hannover zu ziehen, vor jetzt fast neun Jahren, dachte ich morgens beim Aufwachen, gäbe es doch einen Knall, und der Umzug wäre getan. Genauso ist es gekommen. Als der Umzug am Abend getan war und ich das Leihauto in Hannover abgeben wollte, fuhr ich mit einem Knall einem unglücklich geparkten VW-Transporter den Außenspiegel ab. Immerhin habe ich wirklich nicht lange gebraucht, in Hannover polizeilich bekannt zu werden und ein von der Polizei dokumentierter Knall war doch ein guter Auftakt.

Gestern habe ich eine durchgeknallte Frau mit Motorsäge fotografiert, vielmehr ihr Bild auf einem Umzugswagen. Mir ging es aber um den Slogan: „Wir sägen die Preise ab.“ Mir fiel nämlich ein, dass ich mal im ostbelgischen Eupen einen ähnlichen gelesen habe, der zwar grammatisch ein bisschen verhunzt, aber fast so brutal war: „Wir hauen den Preisen auf dem Kopf.“ Wer möchte da noch Preis Preuße sein.

Absägen, ja, wovon denn? Foto: JvdL