Rührstab für unterwegs

„Ohne meinen Pürierstab gehe ich nie aus dem Haus“, sagt Fernsehkoch Mirko Reeh im Interview mit dem Glüxmagazin. Unterwegs zum Bäcker lachte ich über die ungewollte Komik. Wenn ich aus dem Haus gehe, nehme ich Geldbörse, Maske und Schlüssel mit. Ich käme nicht darauf, einen Pürierstab einzupacken, wo es doch selten etwas ambulant zu Pürieren gibt. Selbst wenn jemand mit einer Schale Pommes aus der Tür des Dönerladens träte, wäre es unschicklich, ihm die Pommes zu pürieren. Versehentlich memorierte ich Reehs Aussage mit: „Ohne meinen Rührstab…“ Ein Rührstab wäre ein sinnvolles Utensil für unterwegs, wenn er auf zauberhafte Weise das bewirken könnte, was man unter „anrühren“ versteht.

Vor mir in der Schlange im Supermarkt stehend, verlangte eine alte Frau, ich solle einen Abstand „in der Länge einer Parkbank halten.“ Ich hatte mich getreu an den Markierungen am Boden orientiert und sagte: „Jetzt übertreiben Sie aber.“
„Nein!“, rief sie verzweifelt. „Wir haben einen ganz schlimmen Virus. Das können Sie in jeder Zeitung nachlesen.“ In seinem Wörterbuch des Teufels definiert Ambrose Bierce:

Derlei Zurückweisungen erfrischen nicht, sondern fühlen sich übel an, nicht nur, weil es ein mühsames Geschäft ist, eine Parkbank vor sich herzutragen. Und auch noch längs! Mein armer Rücken.

Bedingt durch die permanenten Aufforderungen zur sozialen Distanz ist die Begegnung im öffentlichen Raum unerfreulich geworden. Entgegenkommende warten vor Engstellen, um Nähe zu vermeiden, oder sie wenden den Kopf ab zur Seite. Ich ertappe mich dabei, für die Dauer der Begegnung die Luft anzuhalten. Das ganze Miteinander steht unter einem üblen Diktat. Ob das je wieder anders wird? Mir begegnete der Postbote von der blauen Post. Gerne hätte ich ihn gegrüßt, doch er schaute mit tieftraurigem Ingrimm zu Boden. Der Mann rührt mich immer wieder, auch ganz ohne Rührstab.

Die Malkunst der Virologen

„Haben Sie viele Coronafälle?“, frage ich meine Ärztin., die ich quasi routinemäßig aufgesucht hatte.
„Nein!“, sagt sie.
„Bei den geringen Fallzahlen in Hannover ist es wohl wahrscheinlicher von einem Auto überfahren zu werden“, ergänze ich. Das findet sie auch und sagt, dass sie diesem Coronagedöns [mein Wort] kritisch gegenüber stehe. Sie halte sich natürlich an die Vorgaben, was ich bestätigen kann. So setzt sie sich eine Maske auf, bevor sie mein Herz abhört, aber sagt: „Im letzten Jahr hatten wir 20.000 Grippetote. Da krähte kein Hahn nach.“ Ein Aushang an der Tür besagt, dass nur eine Maske tragen solle, wer eine Atemwegserkrankung habe. Bei anderen bestünde keine Evidenz des Nutzens. Ich bin zweimal beruhigt, einmal eine Meinung aus der ärztlichen Praxis zu hören, die meine Ansichten bestätigt, und zum anderen, weil mein Herz brav geklopft hat.

Die Praxishelferinnen tragen zur Tastaturbenutzung Latexhandschuhe. Ich sehe bei der einen schweißfeuchte Stellen in den Handschuhen, der Nährboden für Bakterien. Arme Frau. Warum sind die Schutzmaßnahmen so disfunktional? Denkt da keiner richtig nach? Sind denn alle einem kollektiven Irrsinn verfallen? Wenn man böse Drahtzieher wie dem James-Bond-Film entsprungen ausschließt, bleibt nur dieser Schluss. Unsere Entscheidungsträger sind Opfer der von ihnen selbst geschürten Panik, haben den Teufel an die Wand gemalt und erschrecken jedes Mal, wenn sie seiner ansichtig werden. Freilich lassen sie ab und zu einen Virologen mit dem Farbtopf ran, damit die Darstellung nicht verblasst. Und die Kerle können nicht mal gut malen. Zum Erschrecken reicht wohl deren schlichte Maumännchen-Kunst.

Ein Spaziergang führte uns über einen recht breiten Weg an einem Waldrand entlang. Auf der anderen Seite war ein Graben. Vor uns hielten zwei Radfahrer am Wegesrand. Das ältere Paar betrachtete uns ängstlich und wäre wohl lieber in den Graben gefallen als unsere Nähe zu ertragen. Soziale Distanz kann auch gefährlich sein.