Uhrenvergleich – Einiges über Zeit und Fernkontakte

Heute Morgen ist die Sonne in Görlitz um 7:06 Uhr aufgegangen, in Aachen jedoch erst um 7:41 Uhr, also etwas mehr als eine halbe Stunde später. Eine Sonnenuhr in Görlitz im äußersten Osten Deutschlands zeigt den Höchststand der Sonne 35 Minuten früher an als eine in Aachen, der westlichsten Stadt Deutschlands. Denn eine Sonnenuhr zeigt die Ortszeit. Das heißt, wenn die Sonne an einem bestimmten Ort im Zenit steht, wirft sie den Schatten des Stabes genau auf die Zwölf der Sonnenuhr. In alter Zeit entsprach die Mitte des Tages, der Mittag, genau dem Augenblick, wenn die Sonne im Zenit stand. Die innere Uhr der Menschen war nach dem Sonnenstand getaktet, was bedeutet, dass der Takt sich zum Beispiel bei Aachenern und Görlitzern deutlich unterschied. Aber sie merkten es nicht, denn ihre Lebenswelten waren ja nicht miteinander verbunden. Wenn je nach Sonnenstand die Dämmerung einbrach, endete der Tag. Dann begaben sich die Eulen auf die Jagd, weshalb die Dämmerung einst „Eulenflucht“ hieß. Das anschauliche Wort Eulenflucht ist leider versunken wie die Orientierung des Menschen am Sonnenstand.

Erst die Fernkommunikation bringt die Idee der Einheitszeit mit sich. Die Notwendigkeit einer Einheitszeit entstand im Jahr 1830 mit der heute weitgehend vergessenen optischen Telegrafie. Die etwa 550 Kilometer lange preußische Telegrafenlinie reichte von Berlin bis Koblenz. Diese frühe Form der Telegrafie bestand aus Türmen mit Signalmasten. Sie waren im Sichtabstand von etwa sechs Kilometern auf Anhöhen errichtet, meistens außerhalb von Ortschaften, weshalb die Turmbesatzung, zwei Telegrafisten, mit ihren Familien in Wohngebäuden beim Turm lebten. Auf der Telegrafenlinie galt Berliner Ortszeit. Sie wurde allmorgendlich mit dem Kode B4 durchtelegrafiert und auf Schwarzwälder Kuckucksuhren eingestellt. Die Telegrafenbesatzungen waren also nicht nur räumlich isoliert, sondern auch zeitlich, lebten in einer fiktiven Einheitszeit, während die Menschen in den Ortschaften ringsum ihre Kirchturmuhren nach dem Sonnenstand stellten. Die Einheitszeit ist eine technische Idee, eine Idee der Fernkommunikation und später der Eisenbahn, die ja einen einheitlichen Fahrplan benötigt. Die Einheitszeit entspricht nicht dem menschlichen Maß, sondern ist ein Kompromiss, dessen Nützlichkeit man nicht bestreiten kann.

UhrenvergleichFotomontage: Trithemius

Doch in keiner Weise nützlich ist das alljährliche Hin und Her der Zeitumstellung von Sommerzeit auf Winterzeit und zurück. Der Mensch benötigt vier Tage bis zu vier Wochen, um seine Innere Uhr umzustellen, weshalb auch an den Montagen nach der Zeitumstellung die Zahl der Verkehrsunfälle deutlich ansteigt. Die Idee, mit der Sommerzeit ließe sich Energie sparen, hat sich als trügerisch erwiesen. Es wird sogar mehr Energie verbraucht.

Laut einer aktuellen repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Krankenkasse DAK sind nur 26 Prozent der Bevölkerung für die Zeitumstellung, aber 71 Prozent wollen diesen Humbug nicht. Ein Kompromiss wäre doch, die Uhren ein für alle mal eine halbe Stunde vor- oder zurückzustellen. Dann entspräche zwar der Sonnenstand noch immer nicht der einheitlichen Uhrzeit, doch wir müssten uns nicht zweimal im Jahr quälen.

Leider neigen einmal eingeführte Systeme dazu, sich zu erhalten, auch wenn ihre Nützlichkeit fragwürdig ist. Und natürlich sind es immer die Herrschenden, die uns die Zeit diktieren. Diese technokratische Arroganz der EU erinnert an den rumänischen Diktator Ceauşescu, der in einem harten Winter sogar die offiziellen Temperaturangaben nach oben korrigieren ließ, als sein Volk wegen des Ölmangels fror.

Den Eulen ist übrigens egal, was die Uhr des Menschen anzeigt. Sie fliegen nach wie vor bei Einbruch der Dämmerung. Doch alle Haustiere leiden unter dem willkürlichen Eingriff des Menschen, was der Bauer vor allem bei seinen Kühen erkennt, die einfach nicht einsehen wollen, dass es plötzlich eine Stunde später zum Melken geht. Wie soll die Kuh auch verstehen, dass dem Menschen nach und nach jedes natürliche Maß abhanden kommt.


    Literatur: Herbarth, Dieter; Die Entwicklung der optischen Telegraphie in Preussen, Köln 1978