Hofladen

Auf dem Weg hinab vom Drielandenpunt, Hollands höchstem Berg, erreichten wir bald den Ortsrand von Vaals und fanden vor einem schmucken Haus eine Holzkiste mit Marmeladengläschen aufgestellt, die Deckel hübsch mit bedruckten Papiertüchlein verhüllt, worauf oben ein Preiszettelchen geklebt war. Ein mit artiger Handschrift in drei Farben beschrifteter Aufkleber, wies die im Glas enthaltene Sorte als „aardbeienjam“ [Erdbeermarmelade] aus. Den Preis von zwei Euro konnten wir in einer kleinen Box hinterlassen. Das gesamte Arrangement ließ darauf schließen, dass hier Marmelade von Früchten aus eigenem Garten angeboten wurde.

Natürlich kann, wer Erdbeermarmelade möchte, nicht zuerst den Vaalser Berg erwandern und im Ortsrand von Vaals nach Angeboten suchen. Die Leute dort verkaufen nur, was sie zuviel haben. Für die Versorgung der Massen brauchen wir industrielle Marmeladenkocher. Einer davon sind die Schwartauer Werke mit Sitz in Schleswig-Holstein, gegründet 1899 von den Brüdern Paul und Otto Fromm. Heute gehört das Unternehmen mehrheitlich dem Bielefelder Konzernchef Arend Oetker. Bei Schwartau ist man nun auf die schlaue, vielleicht minder schlaue Idee gekommen, eine Sorte Fruchtaufstrich unter dem Produktnamen „Hofladen“ zu verkaufen. Die Gläschen stehen massenhaft im Supermarktregal, weitab von irgendwelchen Selbsterzeugern und Hofläden. Wer die schöne Illusion trotzdem will, schließlich steht „Hofladen“ auf dem Etikett, kann auf dem Rückenetikett einen 2D-Code scannen, um die Lieferanten und ihre Betriebe kennenzulernen. Fruchtaufstrich wird übrigens aus Fruchtsaft hergestellt, auch wenn auf dem Etikett ganze Früchte, beispielsweise Kirschen zu sehen sind.

Seit kurzem bin ich Träger einer Gleitsichtbrille und staune, wie klar durchschaubar meine Umwelt ist. Aber wenn ich den Lug und Trug, die ganze Augenwischerei, um mich herum wahrnehme, ist eine scharfe Brille für meine innere Ruhe eher abträglich.

    UPDATE Meine lieben Damen und Herren,
    tags zuvor habe ich mich für das ungelenke Layout entschuldigt, weil WordPress uns einen neuen Editor aufs Auge gedrückt hat und ich weder Zeit noch Lust habe, mich mit den Tücken dieses unhandlichen Werkzeugs vertraut zu machen. Inzwischen habe ich bei einem WordPress-Kollegen eine Anleitung gefunden, wie man den klassischen Editor weiter benutzen kann. Daher kann ich das vertraute Layout wieder herstellen.

Kirschen im Regen – ein Marktbummel

Foto: JvdL

Die wahre Bitte, die Kirschen nicht zu berühren, wirft die Frage auf, ob es denn auch eine unwahre Bitte geben kann. „Bitte hier nicht weiter lesen!“, wäre zum Beispiel eine unwahre Bitte, denn indem der Text noch weiter geht, erweist sich die Bitte als ihr Gegenteil, und das, obwohl es inzwischen regnet und damit ein Grund gegeben wäre, den Bummel über den Wochenmarkt zu beenden und nach Hause zu gehen. Jedenfalls lassen wir uns nicht weiter aufhalten und kaufen keine Kirschen, sondern denken ungefähr von hier bist da hinten darüber nach, warum es „wahre Bitte“ heißt. Will sie ihre Bitte besonders eindringlich machen, weil sie hat erleben müssen, dass eine einfache Bitte nicht reicht, ihre Kirschen vor dem Betatschen zu schützen? „Bitte nicht berühren, aber echt jetzt!“ Unlogisch erscheint das nicht.

Gut, ich gebe zu, dass die Botschaft auf dem Schild etwas anderes bedeutet, nämlich „Ware bitte nicht berühren!“ Bei einer Aufforderung aus vier Wörtern vier Orthographiefehler zu machen, ist große Kunst, in diesem Fall die Kunst der Marktfrau. Sie hat guten Grund, voller Stolz hinter ihrer Marketing-Meisterleistung zu posieren. Denn würde ich jetzt nicht lieber Erdbeeren essen als Kirschen, dann hätte das Schild mich vielleicht zum Kauf gereizt, da es einiges signalisiert, ohne dass es ausdrücklich ausgesprochen wäre. Aus den Orthographiefehlern könnte man schließen, dass die Schreiberin nur eine unzulängliche Schulbildung hat, was man für typisch halten könnte für eine Markt-Anbieterin vom Land. Sie hat da nur eine Zwergschule besucht, und wenn zu Hause auf dem Hof viel Arbeit war, dann ließ man sie die Schule schwänzen, damit sie zum Beispiel bei der Kirschenernte helfen konnte. Was soll eine Landfrau auch mit Buchstabenwissen? In ihrem Leben geht es handfest und naturverbunden zu; man hat Wichtigeres zu tun als Orthographie zu lernen.

So etwa könnte man bei flüchtigem Betrachten des handschriftlichen Textes denken und dann unzulässiger Weise darauf schließen, dass die Verfasserin nicht nur eine ungebildete Landfrau ist, sondern auch die Kirschen eigenhändig vom Kirschbaum auf der Hauswiese gepflückt hat. Da ich über WordPress eine Bloggerin kenne, die als Marktfrau arbeitet und ein abgeschlossenes Studium hat, möchte ich vor derlei Vorurteilen sowieso warnen.

Bitte halte mal kurz den Schirm, mir ist der Schuh aufgegangen, und jetzt schleift ein Schnürsenkel durch die Pfützen. Also, diese Landfrau hier. In Wahrheit ist sie bauernschlau, und Bauernschläue schlägt das Buchstabenwissen um Längen. Nirgendwo an ihrem Stand behauptet sie, dass die Produkte aus eigenem Anbau stammen. Obst und Gemüse hat sie vielleicht vom Großmarkt, und was der Discounter billig vermarktet, das haut sie mit saftigem Preisaufschlag als Hauswiesen- und Hofgartenprodukte raus. Irgendwie macht mich die Rosstäuscherei beinahe schwermütig. Doch dann denke ich, die Bauern und Marktweiber haben eigentlich schon immer gern betuppt. Sie haben quasi eine Art Gewohnheitsrecht. Und die eine da, die spezielle, hat auch meine Hochachtung. Denn mit vier Wörtern eine Botschaft zu verfassen, die das eigentlich Gemeinte ausdrückt sowie die eben geschilderten Assoziationen und Konnotationen wachruft, – vor diesem schriftsprachlichen Augennagel zöge ich meinen Hut, wenn ich einen hätte und der Regen mir nicht ohnehin schon in den Nacken seifen würde.