Plausch mit Frau Nettesheim – Smartphone auf Reisen

Frau Nettesheim
Ihr Smartphone ist wieder da?

Trithemius
Ja, seit gestern. Es hat eine geheimnisvolle Odyssee hinter sich, Frau Nettesheim. Ich hatte es in einem Ferienhaus in der Bretagne vergessen, was mir erst auffiel, während Freunde uns zum Bahnhof fuhren. Es war zu spät, noch einmal zurück zu fahren. Meine Begleiterin und ich hätten den TGV nach Paris verpasst. Die Freunde, die einige Tage länger in den Ferien verblieben sind, haben mir das Telefon zugeschickt. Doch es war einen Monat unterwegs, denn bei der Adresse stimmte die Postleitzahl nicht. Keine Ahnung, wo es überall gewesen ist. Jetzt habe ich mein Smartphone wieder; es ist aufgeladen und eingeschaltet, ich könnte froh sein, aber es macht mich ganz verrückt.

Frau Nettesheim
Soso, verrückt. Warum?

Trithemius
Nachdem ich mich daran gewöhnt hatte, kein Smartphone mehr zu besitzen, bin ich befremdet. Ich fühle mich, als würde ich am Schreibtisch sitzen und hinter mir stünden Türen offen. Ab und zu tritt für mich unsichtbar ein Bote in eine der Türen und ruft: „Eilige Post für Sie! Wollen Sie die Depesche beantworten? Ich warte!“ Da soll sich einer konzentrieren.

Frau Nettesheim
Depesche? Etwa übermittelt vom Deutschen Depeschendienst?“

Trithemius
Nein, die Nachrichten kommen von ganz normalen Leuten. Nicht Staatslenker nehmen mit mir Kontakt auf, um Handelsabkommen zu schließen, keine gekrönten Häupter erklären mir den Krieg, keine Botschaft eines Nachbarlandes warnt mich vor einer Flutwelle, weil am Oberlauf eines Flusses ein Staudamm gebrochen ist. Ich bin ja keiner von ihnen, bin auch nur ein normaler Mann. Folglich bekomme ich simple Nachrichten von ganz normalen Leuten.

Frau Nettesheim
Früher hätten Sie die Demokratisierung der Nachrichtenwege begrüßt.

Trithemius
Ganz früher vielleicht, als Sie noch gar nicht auf der Welt waren, Frau Nettesheim, sondern irgendwo auf dem Mond rumschwammen. Aber jedes Medium hat die Neigung sich mit Inhalten zu fülle. Bauen Sie eine Autobahn, bekommen Sie mehr Autoverkehr als Ihnen lieb ist, öffnen Sie Kommunikationskanäle, bekommen Sie eine Nachrichtenflut, die kein Mensch bewältigen kann. Jetzt habe ich den Salat: Hinter mir werden Türen aufgerissen und Benachrichtigungen gerufen. Geht Ihnen der feine Unterschied auf zwischen „Nachricht“ und „Benachrichtigung?“

Frau Nettesheim
Nicht, dass ich es referieren könnte.

Trithemius
Ich versuche es: Die Nachricht ist im Wortsinn eine Information, nach der man sich zu richten hat. Wenn die Wettervorhersage Regen ankündigt, richten Sie sich darauf ein und nehmen einen Schirm mit. Die Benachrichtigung ist die Ankündigung einer Information, etwa das Klingeln an der Wohnungstür, das Brummen des Mobiltelefons, die Tonfolge des E-Mail-Programms, wobei nicht klar ist, ob die eingehende Information eine Nachricht ist oder sonst was, etwa Werbung, nach der ich mich nicht richten will. Ständig ist man also damit beschäftigt, Benachrichtigungen auf ihre Relevanz zu prüfen. Das macht mich verrückt und meine Kommunikationsbereitschaft tendiert nach null.

Frau Nettesheim
Ein Glück, dass Sie dem Paketboten trotzdem aufgemacht haben. Sonst wäre Ihr Smartphone noch immer sonst wo.

An einem Sonntagmorgen im Februar

Allmorgendlich klappe ich den Tagesschau-Feadreader auf und schaue nach, was in der Welt geschehen ist, ob nicht vielleicht ein irrer Diktator meinen Planeten weggesprengt hat, derweil ich schlief. Eigentlich müsste ich keine der Schlagzeilen lesen, denn wenn das Internet noch da ist und auch der Feadreader der Tagesschauredaktion, könnte ich mich beruhigt zurücklehnen. Was da sonst noch in der Welt passiert ist, betrifft mich ja gar nicht. Es ist im ununterscheidbaren Nebeneinander von Schreckenskunde und Banalitäten reines Entertainment.

Ja, diese Schlagzeilen im Feadreader eröffnen nicht mal Nachrichten im Wortsinne von „Nachricht“ = Wonach man sich zu richten hat. Nicht mal, wenn da etwas übers Wetter stünde, müsste ich mich danach richten, denn wenn ich noch im Schlafanzug am Rechner sitze und kalte Knie habe, muss mir die Tagesschauredaktion nicht mitteilen, dass es draußen bitter kalt ist, obwohl die Sonne scheint. Andererseits wäre ganz hübsch, wenn dort stünde:

Obwohl das nicht geschieht, klappe ich allmorgendlich den Feadreader auf und werfe einen orientierenden Blick auf die Liste. Vermutlich will sich in mir etwas vergewissern, dass die ganze Welt noch steht, nicht nur Hamburg und das Gebäude der Tagesschauredaktion. Hab ich nicht mal im Braunkohletagebau ein Dorf gesehen, um das herum man alles weggebaggert hat? Nur einen schmalen Damm für den Zuweg hatte man stehengelassen. Sonst war da rundum Loch, also Abgrund. Das ginge natürlich auch mit der Tagesschauredaktion oder Hannover, also schweift mein Blick über die Schlagzeilen, nur zur Beruhigung. Gestern oder vorgestern machte mich diese Schlagzeile stutzig:

Und ich dachte: „Wer oder was ist Ledecka?“ Klar, unter Parallel-Riesenslalom kann ich mir etwas vorstellen, hab das sogar schon mal gesehen. Man fährt auf einem Brett stehend so schnell es geht einen beschneiten Hang hinunter, aber nicht geradeaus, sondern in irrwitzigen Kurven und das zu zweit, also nicht auf einem Brett wie damals diese fünf Kanadier auf einer Gitarre gespielt haben, sondern nebeneinander auf verschiedenen Strecken, die mit Stangen abgesteckt sind. Auf der Schneedecke sieht man je eine andersfarbige Linie, die quasi den Idealweg kennzeichnet. Wer zuerst unten ist, hat gewonnen. Wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es zwei Läufe, wobei die Strecken getauscht werden, weil natürlich die Ideallinien zwar gleich lang sein können, aber die Bodenverhältnisse nicht identisch sind, und wo nur Hundertstel über Sieg oder Niederlage entscheiden, genügt ja ein kleiner Hubbel. So weit, so klug.

Aber geht so Geschichtsschreibung? Geschrieben sind ja nur die farbigen Linien, also mehr gesprüht als geschrieben, und zwar von ungenannten Helfern und nicht von Frau oder Herr Ledecka. Sie/er ist nur drauf rumgefahren. Wenn das der Tagesschauredaktion schon einen Eintrag ins Geschichtsbuch wert ist, dann sind es meine kalten Knie auch und dürfen, ja, müssen vermeldet werden. Immerhin habe ich 458 Wörter reines Deutsch darüber verfasst.
Schönen Sonntag!

Und hier nochmal der legendäre Riesenslalom der Fünf auf einer Gitarre: