Früh sinkt am Nachmittag die Dunkelheit herab, Zeit zu lesen. In der Reihe „Teestunde im Teestübchen“ erscheinen unterschiedlich lange Beiträge zu den Bedingungen von Lesen und Schreiben, – ein Bummel durch die Jahrtausende der Schriftkultur, ausgehend von Phänomenen des Alltags. Heute geht es um Ich-war-hier-Marken.
Den „Verein für Sprühschriftpflege“, den Boehncke / Humburg in ihrem Handbuch „Schreiben kann jeder“ schon 1980 erwähnen, hat es nie gegeben. Folglich ist ihr Aufruf gegen den „Sprühschriftverfall“ ungehört geblieben. Auch ihre Richtlinien für eine Sprühschriftdidaktik haben den Weg in die Schulen nicht gefunden. Mehr als 40 Jahre ungeschultes und mithin ungekonntes Sprühen ist das traurige Ergebnis, das uns überall begegnet. „Ja, sollen denn unsere Schulen noch zum Beschmieren (Taggen) der Hausfronten anregen?“, wird mancher entrüstet fragen, dem diese modernen Großstadtchiffren ein Dorn im Auge sind.
Eben nicht, denn erfahrene Pädagogen wissen, dass junge Menschen die Lust an einer Sache verlieren, sobald sie Thema des Unterrichts wird, besonders, wenn der anarchischen Praxis ein historischer Abriss vorangestellt wird, in dem auch noch Goethe vorkommt. Um die jugendlichen Sprüh-Anarchisten zu ködern, beginnen wir mit einem Werk der Punk-Dichterin Diana Ozon aus Amsterdam Klik, Klik Klik Klik – kogellager in spuitbosblik:
Mit „Höhlengemälde im Sudan, Urtiere von Lascaux“ ist der schulische Anspruch mehr als eingelöst, immer bei Adam und Eva zu beginnen. Die Höhlengemälde sind gewiss älter als die beiden, da die Welt laut kreationistischer Bibel-Exegese grad mal 6000 Jahre alt ist. Nur wenig jünger sind die derben Klosprüche, die man in Pompeji fand. Aus Gründen der Züchtigkeit können sie hier nicht zitiert werden, außer vielleicht der freimütigen Auskunft einer gewissen Euplia: „Euplia (hat’s) hier mit 2000 netten Männern (getrieben).“ Und schwuppdiwupp sind wir bereits im 14. Jahrhundert. Bekanntlich hinterließ Till Eulenspiegel an den Orten seiner Untaten das dreiste: „Hic fuit!“ (Hier ist er gewesen!). Auch die Gaunerzinken, von den Fahrenden an versteckten Plätzen angebracht, haben den Charakter von Ich-war-hier-Marken.
Im Jahre 1831, an seinem 82. Geburtstag bat Goethe den Geologen Christian Mahr, mit ihm zu einer Jagdhütte auf dem Kickelhahn im Thüringer Wald aufzusteigen, und begründete sein Ansinnen: „Ich habe in früherer Zeit in dieser Stube mit meinem Bedienten im Sommer acht Tage gewohnt und damals einen kleinen Vers hier an die Wand geschrieben, und wenn das Datum darunter geschrieben steht, so haben Sie die Güte und schreiben es mir auf!“
An der Wand der Jagdhütte links des südlichen Fensters stand mit Bleistift geschrieben: