Claus Kleber und die Spatzen – Wiedersehen mit Frau Nettesheim

Frau Nettesheim
Ist Ihnen die digitale Entgiftung gelungen, Trithemius?

Trithemius
Mir wurde bald klar, dass digital detox zu kurz greift. Deshalb habe ich in den vier Wochen der Kur so gut wie jedes Medium gemieden.

Frau Nettesheim

Sie haben mir eine Ansichtskarte geschickt.

Trithemius

Ganz auf Medien verzichten kann ja nur, wer als Waldmensch lebt. Ich habe Post verschickt, mich an Hinweisschildern und Plänen orientiert, Landkarten vom Bodensee betrachtet, auf die Uhr geguckt, Tagebuch geführt, einen Roman gelesen, manchmal sogar das Smartphone zur Fernkommunikation benutzt. Aber ich habe nicht in die Zeitungen geschaut, die im Leseraum herumlagen. Den Fernseher auf dem Zimmer habe ich nur einmal eingeschaltet und es sofort bereut. Ich presste die Fernbedienung und ging ins Bad. Da ertönte plötzlich die Stimme eines Verrückten, der ein Murmelbahnrennen moderierte: „Auf die Murmel, fertig los!“ Das kam mir vor wie ein Anschlag auf meine Murmel. Ich habe den Deppen flugs abgeschaltet. Das Internet habe ich gemieden, nur per Smartphone ab und zu ins Teestübchen geschaut.

Frau Nettesheim
Sie haben also auf tagesaktuelle Medien verzichtet.

Trithemius
Denen ist schwer zu entkommen. Am Anfang der zweiten Woche hieß es plötzlich, im Leseraum säße „kein geringerer als Claus Kleber.“ Und tatsächlich stand er tags drauf mit uns am Buffet. Ich habe ihn geflissentlich ignoriert. Aber andere machten Selfies mit ihm. Kleber („Ich habe Urlaub“) genoss seinen Prominentenstatus sichtlich, sonnte sich am Vormittag oft auf der Terrasse. Als er abgereist war, fand ich seinen Terrassenstuhl von Spatzen bekackt.

Frau Nettesheim
Trithemius! Das ist eine völlig unzulässige Verbindung. Spatzen wissen nichts von Claus Kleber oder Terrassenstühlen. Ich hätte auch ohne ihre despektierliche Äußerung gewusst, was Sie von ihm halten.

Trithemius
Sie meinen, die Spatzenkacke ist nicht die Kritik der Sperlinge an der demagogischen Moderation des Heute-Journals?

Frau Nettesheim
„Für Spatzen ist er einfach nur ein Mensch.“

Trithemius
Das wage ich zu bezweifeln, Hohe Frau. Spatzen sind ja selbst im Nachrichtenwesen. Heißt es nicht von allseits bekannten Neuigkeiten: „die Spatzen pfeifen sie von den Dächern?“

Frau Nettesheim
Sie halten Claus Kleber doch gar nicht für einen Nachrichtenmann. Was er macht, sei Infotainment, die Verwischung der Grenzen zwischen Information und Meinung.

Trithemius
Ich weiß schon, warum ich die tagesaktuellen Medien vier Wochen gemieden habe. Ich war vom aufgeregten Tuten, Tröten und Trompeten schon ganz närrisch und habe die Ruhe genossen. Und wissen Sie, was das Beste war?

Frau Nettesheim
Woher denn.

Trithemius
Ich war nach den vielen sportlichen Aktivitäten meistens so müde, dass ich keine Lust mehr zum Denken hatte.

Frau Nettesheim
Das ist hoffentlich vorübergehend. Sie können nicht alles den Spatzen überlassen.

Heult doch – alle!

Kategorie zirkusDie Handlungsfähigkeit der EU stünde auf dem Spiel, tönte es gestern im regierungstreuen Verlautbarungsorgan „heute-journal“ (ZDF). Die kanadische Handelsministerin, Chrystia Freeland, sei „unter Tränen“ abgereist, nachdem der Abschluss des unterschriftsreifen Handelsvertrags CETA am Widerstand des wallonischen Regionalparlaments vorerst gescheitert ist. „Wir sind doch Freunde“, bekundete sie ihr Unverständnis der wallonischen Bockigkeit. Dass man in der EU die ablehnende Entscheidung eines demokratisch gewählten Parlaments nicht akzeptieren will, zeigte sich am Statement Angela Merkels: „Bei uns dauert es eben manchmal länger.“ Das enthielt ja die Botschaft: „Wir Konzernfreunde finden schon einen Weg.“ Ähnlich äußerte sich der Premier der belgischen Zentralregierung Charles Michel: „Wir sitzen noch am Verhandlungstisch, und wenn man am Tisch sitzt, dann muss man wild entschlossen sein, alles zu tun, um der Lösung eine Chance zu geben.“ Entsprechend nennt FAZ.net die demokratische zustande gekommene Ablehnung „Proteste“, als ginge es um ein paar aufgebrachte Milchbauern, die wichtige Zufahrten mit ihren Treckern blockieren. Passend hatte man bei heute einen ausgemergelten wallonischen Biobauern gezeigt, der ein paar kümmerliche Feldfrüchte in der Hand hatte, bei dem jeder dachte, den und das kann man getrost vergessen.

Ach, sie halten uns ja für so dumm. Sie glauben, wir sind kleine Mädchen, denen man was vom Pferd erzählen kann. Weniger blumig hatte sich der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette, im Zivilberuf Politikwissenschaftler, geäußert, dass man bei der EU glaube, er hätte CETA nicht verstanden. Magnette kritisiert, was auch Hundertausende Bürger der EU als Bedrohung ihrer Demokratien ansehen, die Regeln zum Investorenschutz, die Schiedsgerichtsbarkeit für Investoren und die mögliche Privatisierung von hoheitlichen Aufgaben. Was wir verstanden haben: Unsere Volksvertreter wollen einen Teil ihrer Zuständigkeit aus der Hand geben und dem freien Spiel von Konzerninteressen ausliefern.

Ich war in die heute-Sendung geraten, weil ich die anschließende Heute-Show sehen wollte. Dass den Autoren dieser Satire-Show kein Wort zum CETA-Trauerspiel eingefallen war, ist schwer vorstellbar. Möglicherweise hatte man aber keine Zeit und musste wichtigere Themen behandeln wie die Tatsache, dass die Käufer von VW-Dieselfahrzeugen in den USA entschädigt werden, in Deutschland aber nicht, was wieder mal zeige, dass US-Behörden es mit dem Konsumentenschutz ernster meinen als unsere. Eine interessante Darstellung von Moderator Oliver Welke, weil CETA von Kritikern als trojanisches Pferd angesehen wird für TTIP, den Handelsvertrag mit den USA. Wir lernen, die Verträge können so schlecht nicht sein, zumindest nicht für den, der einen VW-Diesel besitzt und US-Bürger ist.

Blödes Schwenkfutter - Quelle: ZDF-Heute-Show

Blödes Schwenkfutter – Quelle: ZDF-Heute-Show

Schon bei der Heute-Show zuvor, am 14. 10. waren mir Zweifel an der Zielrichtung der ZDF-„Satire“ gekommen. Da setzte man sich mit den Hasstiraden auf Facebook auseinander, deren Löschung Bundesjustizminister Maas verlangt. Dem Zuschauer wurde vermittelt, dass es dem Männlein im Kommunionsanzug nicht gelingt, sich mit seinen Vorstellungen bei Facebook durchzusetzen. Maas gegen Facebook wäre als würde Margot Käsmann gegen beide Klitschkobrüder boxen. So weit, so lustig. Doch zuvor, als die Kamera über das Publikum strich, das bei jeder abgehandelten Ungeheuerlichkeit klatschend und jubelnd auf den Sitzen hüpft, und sich freut, auch mal im Fernsehen zu sein, da fand das ZDF nichts dabei, den facebook-Account der Heute-Show einzublenden.

In Österreich ist die Verbindung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Facebook verboten.
Ist ja auch Schleichwerbung für einen Konzern. Doch wenn es um Konzerninteressen geht sind wir alle längst verkauft und nur noch blödes Schwenkfutter – im Zirkus des schlechten Geschmacks.