Das hat Ignatz umgeworfen

In China gibt es manches, was es bei uns nicht gibt. Umgekehrt ist es natürlich genauso. In China gibt es beispielsweise den Spruch nicht: „Was kümmert mich, ob in China ein Sack Reis umfällt.“ Es könnte schon sein, dass in China mal ein Sack Reis umfällt. Aber deshalb wird jemand zur Rechenschaft gezogen, weil er sich nicht um die Standsicherheit der Reissäcke gekümmert hat. Dann wird aus einer sprichwörtlichen Belanglosigkeit ein unangenehmer Vorgang für den nachlässigen Reissack-Standsicherheitsbeauftragten. Er wird vielleicht erschossen oder kommt in ein Umerziehungslager, mindestens aber ins Gefängnis und verliert allen Sozialkredit.

In Deutschland können auch allerhand Dinge umfallen, weil sich niemand um deren Standsicherheit gekümmert hat. Aber wir reden dann von höherer Gewalt, und allenfalls ist ein tatsächlicher Ignatz verantwortlich, für den eine gewisse Erika Zabel bei der FU Berlin die Wetterpatenschaft erstanden hat. Ich hörte, dass im Sturm der letzten Tage eine mobile Toilettenkabine, genannt Dixiklo, umgefallen sei und eine Straße blockiert habe. Ob Ignatz für den skandalösen Vorgang verantwortlich gemacht werden kann, ist fraglich. Das Vergehen ist nur zu vergleichen mit dem Beichtunfall, als mein stolpernder Urgroßvater einen Beichtstuhl mitsamt dem einsitzenden Priester umgerissen hat.

Hinsichtlich Dixiklo wäre natürlich zu fragen, ob es zum Zeitpunkt des Sturzes besetzt oder frei und ob sein Fäkalienbehältnis leer oder voll war. War das Dixiklo besetzt, ist der Zustand des Ausscheidungstanks von nachrangigem Interesse, weil sich vorrangig die Frage erhebt, ob der Dixiklobesetzer unverletzt blieb und wie es um seine psychische Verfassung bestellt ist. Denn mitten im Ausscheidungsvorgang mit dem Häuschen vom Sturm umgeweht zu werden, erwartet niemand. Schließlich ist das Klosett für den zivilisierten Nutzer ein Ort der höchsten Intimität.

Wenn einer das Dixiklo betreten und die Tür hinter sich verschlossen hat, darf er sich vertrauensvoll zu seinem Geschäft niederlassen und in aller Ruhe und ohne Arg die Bildzeitung, das anerkannte Fachblatt für immobile und mobile Toiletteneinrichtungen, studieren. Wird der arglose Besucher jetzt mit dem Klo umgeworfen, trifft ihn das im Zustand der drangvollen Anspannung oder der glücklichen Entspannung. Dann drohen vielleicht ein Verlust des Urvertrauens, ein seelischer Schock und dramatische Körperreaktionen wie Darmverschluss oder schlimme Leberwurst.

Welche körperlichen Schäden der verunfallte Dixiklobesucher erleiden müsste, hinge davon ab, ob er mit dem Dixiklo aufs Gesicht, den Rücken oder auf die Seite fallen würde, wobei man ohne vorherige Tests sagen kann, dass die Seitenlage auch hier zu bevorzugen ist, weil eingetroffene Hilfskräfte die Tür besser öffnen und den bei der Notdurft Verunglückten leichter bergen könnten. Freilich hat niemand die Wahl. Alles hängt davon ab, woher die Sturmböe kommt. Faustregel für Ersthelfer: Umgestürzte Dixiklos immer in die stabile Seitenlage drehen! Noch ärger könnte es den sogenannten Stehpinkler treffen. Als Stehpinkler lang hinzuschlagen, wäre übel. Es könnte Brüche zur Folge haben, bis hin zu misslichen Quetschungen an edlen Teilen.

Nach unbestätigten Berichten ist das Dixiklo bei Nacht umgestürzt. Dann wird es unbesetzt gewesen sein. Der seltene Fall von Somnambulismus kann unberücksichtigt bleiben. Bei einem unbesetzten Dixiklo drängt sich die Frage auf, wie der Tank gegen Auslaufen gesichert ist. Ist er gesichert, handelt es sich bei der umgestürzten Mobilen Toilettenkabine lediglich um ein Verkehrshindernis. Läuft hingegen der Tank aus, möge sich der Leser selbst die Folgen ausmalen.

Dixiklo-Alarm!

Wie ist doch alles wohlgeordnet in unserem Sozialwesen. Andere Länder können nur davon träumen. Auf dem Weg zum Mittagstisch sehe ich an Häusern entlang der Straße drei Baustellen. Und bei jedem der Häuser steht eine mobile Toilettenkabine, ja, eine Umbaumaßnahme erkenne ich spontan sogar nur am Bauklo, weil sie vermutlich an der Rückfront des Hauses stattfindet. Die Häuschen heißen Dixiklo und sind äußere Zeichen einer gigantischen Struktur zu unseren Köpfen, die uns meist verborgen bleibt. Eine Struktur aus Gesetzen, Verordnungen und Ausführungsbestimmungen, aus Ämtern in Bürogebäuden mit einer Unzahl an Amtsstuben, darin Schreibtische und Aktenschränke, Beamte und Unterbeamte, die Publikumsverkehr abwickeln, telefonische Auskünfte geben, Antragsformulare ausgeben, entgegennehmen und bearbeiten, mit dem Stempel „GENEHMIGT“ versehen und im Fach „Postausgang“ deponieren.

Ergebnis: Ich fahre zum Mittagstisch, und über Nacht sind in meiner Straße drei Dixiklos vom Himmel gefallen. Als schwebe über unserem Sozialwesen ein gigantisches Raumschiff mit Luken an der Unterseite, die von Beamten der Unteren Dixiklo-Beschickungsbehörde über vorher ausgewiesenen und genehmigten Orten geöffnet werden. Und schon plumpst ein Dikiklo vom Himmel. Vielleicht fährt aber auch an der Unterseite des Raumschiffs ein Beschickungkran hin und her, wie man ihn von Containerterminals kennt, damit das Raumschiff selbst nicht bewegt werden muss. Denn, so sagt schon Gracian: „Alles Große ist schwer zu bewegen.“

Auf dem Rückweg über eine Parallelstraße sehe ich ein Haus, bei dem Dacharbeiten ausgeführt werden. Da sind mehrere Dachdecker bei der Arbeit und ich entdecke, man stelle sich mein Entsetzen vor, weit und breit kein Dixiklo! Was ist geschehen? Weil von woanders Frühsommerwetter befohlen wurde, schwebte das blauweiße Raumschiff himmelwärts, um unter der prächtigen Sonne keinen Schatten zu werfen, und das letzte, was die Dachdecker noch hörten, war eine Stimme, die aus dem hohen Himmel rief: „Heute keine Ausgabe von Dixiklos mehr. Personalversammlung! Schlagt euer Wasser überm Dachfirst ab!

Die Regenrinne wird das meiste auffangen.