Lob der ungezügelten Natur außer Mücken

Man dürfe durchaus mal aus einer Mücke einen Elefanten machen, meinte Chefredakteur Julius Trittenheim in der Redaktionskonferenz. Nur solle jetzt keiner auf die Idee kommen, das auf die redaktionelle Arbeit zu beziehen. „Ich will hier nichts von Elefanten lesen. Wir verstehen uns, Herr Schmock!“, mahnte er den Teestübchen-Volontär.
„Ja, wieso denn nicht?“, fragte der irritiert.
„Letztlich will ich nur darüber berichten, was mir letzten Sonntag bei einem kleinen Picknick am Maschsee widerfahren ist. Wir saßen da schön auf einer Bank am Ufer, freuten uns über eine Entenmutter mit einer Schar kleiner Küken …“

„Entschuldigung, Herr Trittenheim“, unterbrach ihn Redakteurin Andrea Kirchheim-Unterstadt, kleine Küken, ja, muss das denn sein?“
„Es gibt auch große Küken, verteidigte sich Trittenheim.
„Große Küken sind einfach Enten“, versetzte die Kirchheim-Unterstadt unversöhnlich.
„Kleine Enten also, hehe. Also gut, wir saßen da schön am Ufer und freuten uns über eine Entenmutter mit einer Schar Küken. Ich sann arglos darüber nach, dass doch in so einer domestizierten Parklandschaft wie rund um den Maschsee durchaus wilde Natur ihren Platz hat, wenn auch bedauerlich eingeschränkt. Während ich also innerlich Partei ergriff für die wilde Natur, muss doch so ein dreistes Mückenvieh mich durch den Socken in die Fußbeuge gestochen haben. Und hatte wohl nicht genug, versenkte das elende Biest den Saugrüssel auch noch in den Knöchel meines Zeigefingers.“
„Es könnte eine andere Mücke gewesen sein“, warf Redaktionsassistentin Marion von Erlenberg ein.
„Ihr Gerechtigkeitssinn in Ehren, aber Mücke hie, Mücke da, das kümmert doch keine Sau“, moserte der Trittenheim. „Zu Hause jedenfalls blieb es sich gleich. Also die Stiche juckten gleich höllisch, so sehr, dass ich um drei Uhr nachts noch nicht in den Schlaf kam.“
„Drauf pinkeln, Chef!“, schlug Hanno P. Schmock vor.
„In Ihren Kreisen vielleicht“, wehrte Trittenheim ab. „Erst am nächsten Morgen raffte
ich mich übernächtigt auf und recherchierte im Internet nach Hausmitteln. Am besten gefiel mir die Information, man solle die Eiweißmoleküle der Mücke mit Hitze zerstören. Ja, wunderbar, zerstören!, dachte ich rachelustig. Und mir fiel ein Mückendrama ein, das ich mal in Aachen erlebt habe“:

    Ein heißer Nachmittag im Juli 1994. Vor dem ehemaligen Bahnhof von Aachen-Kornelimünster, wo der Radweg der Vennbahntrasse aus dem überwucherten Hohlweg tritt, klatschte mir eine Mücke auf den rechten Unterarm, die sich wohl auf der angrenzenden Kuhwiese mit Blut vollgesoffen hatte. Klatschte mir besinnungslos auf den Arm und zerplatzte, so dass ein dicker Blutflatsch mir über die Haut rann. Ja, weiß denn so eine Mücke nicht, wann genug ist? Muss die sich den Wanst derart vollschlagen, dass die leiseste Berührung sie zerreißt?

    Bei der Imkerei am Ortsausgang, wo die Straße sich steil aus dem Tal der Inde windet, springt ein Bächlein in einen steinernen Trog. Hier im Schatten einer Kastanie kniete ich hin und tauchte einen Arm tief ins Becken. Wer kann schon von sich sagen, dass er das getan hätte? Und die Mücke, deren Reste davonschwammen, wird glücklich vergangen sein, in ihrem Blutrausch. So hatten wir beide was davon.“

„Ein versöhnliches Ende“, seufzte Marion von Erlenberg zufrieden.

Teestübchen Musiktipp
(ausgesucht von Hanno P. Schmock)
Damon Albarn; Mr. Tembo

14 Kommentare zu “Lob der ungezügelten Natur außer Mücken

  1. @ aus der Reihe »Österreicher und Deutsche unterscheiden sich voneinander
    durch ihre gemeinsame Muttersprache.« (Karl Farkas):
    Haben Sie gewusst, dass Mücken in Österreich nicht stechen?
    (Mücken [= Minkerln] heißen im österr. Deutsch nämlich bloß die winzigen harmlosen Obstfliegen. Stechen tun bei uns dafür die Gelsen.)

    Gefällt 3 Personen

  2. ‚Ich möchte mich gegen den Ausdruck „das interessiert doch keine Sau“ verwahren‘, protestierte lautstark die gerade, als dieser Ausdruck fiel, ins Redaktionsstübchen eintretende Gerda Beckmesser. ‚Sau ist ein weibliches Schwein, eine Mutter vieler kleiner Ferkel (ja, das muss sein!), nicht weniger wert als die Ente, die Sie, Herr Trittenheim, so sympathisch erwähnen. Hätten Sie nicht bei der Ente bleiben können, die ihrem Gewerbe ja. viel näher liegen dürfte als die freundliche Sau? „Das interessiert doch keine Ente!“ in Zukunft, wenn ich bitten darf.‘

    Gefällt 1 Person

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