Kennst du das? Du gehst einer alltäglichen Beschäftigung nach und plötzlich ohne Anlass trudelt eine Erinnerung durch dein Denken. Ich stelle mir gern einen Wanderer im Hochgebirge vor, dessen Halt suchender Fuß einen kleinen Brocken losgetreten hat, und der Stein poltert einen Steilhang hinab, springt über einen Pfad und rollt weiter zu Tal. Ein Bauer mäht gerade seine Hangwiese, zieht die Sense hurtig durch die strotzenden Grashalme, denkt nichts Böses, denkt eigentlich gar nichts, höchstens, dass er das Sensenblatt bald mal wieder dengeln sollte, da trudelt an ihm ein Stein vorbei. „Nanu? Wo kam der denn her?“, wundert er sich, richtet sich auf und wischt sich die Stirn.
So eine Erinnerung meine ich. Seit Tagen wischen die immer gleichen Fetzen hinter meiner Stirn vorbei, die Erinnerung an einen Bahnübergang. Die Schranke steht hoch, ein Zug ist nicht zu erwarten, denn der steile Weg, auf dem ich mich heftig atmend nähere, überquert ein einziges Gleis. Hier verkehrt nur sonntags ein Museumsbähnchen. Man hört schon den Pfiff und wie es über den Höhenrücken heranschnauft, sieht von weit her überm Hügel die Dampfwolken aufsteigen, ist also beizeiten gewarnt, das Gleis freizumachen. Der Schrankenwärter geht gemächlich zur Schranke hinüber und kurbelt sie langsam herab. Das ist schon mehr als die Erinnerung. Im Traum hörte ich den Schimpf, sein Töchterlein hätte etwas Ungehöriges in ein offenes Fass gegossen. Es steht am Bahnwärterhäuschen. Wer vorbeikommt, kann daraus schöpfen, um seinen Durst zu stillen. Wird es am Ende der Nachttopf gewesen sein? Das muss woanders erzählt werden.
Das Bild mit dem Wiesensenser ist poetisch very passend.
Klar kenne ich solches! Gedankenbergwerksbröckelchen mag ich!
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Vielen Dank, du Meisterin der originellen Komposita.
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„Kennst du das? Du gehst einer alltäglichen Beschäftigung nach und plötzlich…“
Und wie ich das kenne. Manchmal passt das so garnicht.
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Wenns passen würde, wäre es ja nicht so erstaunlich.
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Ja, das kenne ich. Und wenn ein Mensch zu dieser Erinnerung aus einer sehr lange zurückliegenden Zeit gehört, stellt sich die Frage ein, was aus ihm oder ihr wohl geworden sein mag, gefolgt von dem Wunsch, diesen Menschen ausfindig zu machen, und ihn einfach zu fragen…
Manchmal mache ich das.
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Gute Sache und in manche Fällen sicher lohnend, bis hin zur Erneuerung des Kontakts.
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…oder der Gewissheit, dass es sie oder ihn nicht mehr gibt. Ist mir vor wenigen Tagen passiert.
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Schön beschrieben, lieber Jules. Solche Bröcklein kenne ich auch. Erst kürzlich überlegte ich über Tage lang, woher mir das Bild meiner Gedanken bekannt ist.
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Dankeschön, liebe MItzi. „Tagelang“ klingt fast frustrierend. Hoffentlich gelang dir herauszufinden, woher deine Erinnerung stammt.
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Das hoffe ich auch, lieber Jules. Es ist wirklich frustrierend. Ich erinnere mich an einen Satzfetzen und komme nicht darauf wann und von wem er gesprochen wurde.
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