Ein lindes Frühlingslüftchen wehte ein trockenes Blatt von mir weg über den Bürgersteig. Es wirkte, als wäre das Blatt sich schamhaft bewusst, in der falschen Jahreszeit herumzuliegen. Da jedenfalls dachte ich: Was willst denn du noch hier? Schon wurde mir klar, dass das Blatt längst seinen Platz unter einem Baum eingenommen hätte und bereit wäre, von diversen Organismen zernagt zu werden, auf dass seine Nährstoffe in den Boden zurückwandern könnten. Der Prozess soll etwa vier Jahre dauern, habe ich mal gelesen. Voraussetzung ist, dass nicht rundum alle Flächen versiegelt sind. Ich war kurz versucht, das Blatt aufzuheben und auf eine Baumscheibe zu werfen.
Später an der Supermarktkasse hatte eine Frau Probleme, mit Karte zu bezahlen. Der Vorgang wurde abgebrochen, und sie musste ihre PIN ein zweites Mal eingeben. „Das liegt nur an den langen Fingernägeln“, sagte sie, „aber die wollen wir ja behalten.“
Aber hier den Verkehr aufhalten, Trulla!, dachte es in mir. Gleich danach bedauerte ich meine Unduldsamkeit: Bei einem verirrten Blatt den Hypersensiblen spielen und hier in Gedanken den Miesling herauslassen. Mit so einem wolltest du selber nichts zu tun haben.
Der Kassierer jedenfalls blieb freundlich, was mich zudem beschämte. Man kann manchmal so ein Arsch sein. Bitte entschuldige das Wort „manchmal“ 😉
Ein Bekenntnis, das ich mir lobe!
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Ist alles menschlich. 😉
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Hättest das Blatt ruhig aufheben, auf einer Baumscheibe deponieren und der Dame eine Nagelschere reichen können 😉
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D’accord beim Blatt. Aber die Dame hat ein Recht auf so lange Fingernägel wie sie will. Schließlich muss der Mensch nicht an die Maschine bzw. an Tastaturen angepasst werden.
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Sie hat jedes Recht, zweifellos. Aber es wäre doch eine hübsche Geste gewesen, die sie ja hätte ablehnen können, und ihr wäret ins Gespräch gekommen und du hättest sie hinterher zu einem Kaffee eingeladen …… Und so wäre nicht nur das Blatt seiner Bestimmung zugeführt worden 🙂
(Ich habe ja nicht gesagt, dass du sie anschrauben und ihr die Nägel gewaltsam kürzen sollst, wie es in einem Märchen, welchem? für einen Höllenkater vorgeschlagen wird.)
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Ich habe übrigens versäumt zu sagen, dass ich deinen Text so gut finde, dass ich ihn eben an eine Freundin weitergeschickt habe. Denn es ist leider wahr: immer lauert der Miesling in uns und sucht Gelegenheiten, sich irgendwo anzuhängen und zu echauffieren. Meine Kommentare waren humoristisch gemeint.
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Das freut mich, liebe Gerda. Danke für dein Lob!
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Wie Manfred Deix einst sagte: »Natürlich wäre ich lieber ein netter Mensch, aber ein Arsch zu sein geht viel leichter.«
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Deix trifft auch hier den Nagel auf den Kopf. Danke für das passende Zitat, lieber Kollege.
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Da bin ich mir noch nicht mal so sicher, ob das wirklich so ist.
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Du meinst, ein Arsch zu sein, ist auch anstrengend?
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Ja, weil man sich damit Feinde macht. Als Liebling von allen lebt man bequem.
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Toller finde ich übrigens ein wunderschönes Wort, lieber Jules. Also eigentlich nicht, aber ich kenne sehr wenige Worte die es hier in München nutzen. Mein Freund der nicht aus München kommt allerdings schon. Und da er damit sehr sehr viele Frauen, aber klugerweise nicht mich beschreibt, erinnert es mich immer an ihn.
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Meintest du „Trulla“, liebe MItzi? Ich hoffe, dann hier ein Gif, in dem das Wort schon vorkommt:

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Hoppla, ja Trulla meinte ich. Ein feines, lustiges GIF. Danke, lieber Jules.
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sehr schöner text. nichts menschliches ist uns fremd, aber nach außen wären wir lieber meistens netter als drinnen.
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Vielen Dank. Ist schon gut, dass nicht immer alles nach außen dringt, was in einem so vorgeht.
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Da bin ich jetzt sehr froh, dass ich nicht die einzige Person bin, die im Inneren und unerkannt manchmal ganz schön fies sein kann!
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Natürlich sind wir uns auch darin alle gleich 😉
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Wenn wir uns nur trauen würden und den Mut dazu aufbrächten, in die schwarzdunklen Winkel unsrer Seelenlandschaft offenen Auges zu blicken… Wer aber will schon wissen, welche Kübel übelster Jauche er dann sehen würde. Einfacher ist es allemal, mit den Fingern auf andere Menschen zu zeigen.
Schön ist es doch schon, wenn jemand wenigstens in der Lage ist, seine eigenen Schatten noch zu sehen. So wie Du ihn von Dir geschildert hast.
Einen schönen Gruss zum Wochenende
Robert
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Ich will mir die dunklen Winkel weder bei mir noch bei anderen anschauen. Es reicht zu wissen, dass es sie gibt und ein bisschen Selbstkontrolle in Wort und Taten.
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Ich drücke Dir die Dauen dabei. Dass Du das langfristig durchhalten kannst in Deinem Leben.
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