Die zehnte Frittenbude

Im Traum erzählte ich einer sibyllinischen Frau von einem Traum und fand, während ich erzählte, dass im Traum geträumte Träume leider ziemlich simpel sind. Ich erzählte diesen: Auf Befehl höherer Wesen musste ich neun Imbusbuden in drei Reihen hintereinander aufstellen. Ich ordnete sie zu drei mal drei Buden eng beieinander und fand’s perfekt. Aber zuletzt war da noch eine zehnte Bude. Sie gehörte einem Türken namens Metin. Da beließ ich es bei der symmetrischen Anordnung, doch rückte die neun Buden so eng hintereinander, dass Metins Bude allein in die vordere Reihe passte. Sie störte die Symmetrie, aber zumindest Metin war zufrieden.

Beim Aufwachen erinnerte ich mich an einen Text über Imbissbuden in niederländischer Sprache. Bernd K., ein mit mir befreundeter Niederländischlehrer hatte ihn kopiert, um ihn im Unterricht zu behandeln. Der Text über Imbissbuden ist eigentlich eine Fotoreportage aus den 1970-er Jahren. Eine Familie, Vater, Mutter, zwei Kinder, fährt aus dem Urlaub mit dem Auto durch Nordfrankreich und Belgien zurück in die Niederlande. Die Kinder sehen eine Imbissbude am Straßenrand und rufen: „Pap, pap, laten we stoppen en frietjes kopen bij de Mijnheer!“ [Papa, Papa, lass uns anhalten und bei dem Mann Fritten kaufen!] Der Vater wirft einen prüfenden Blick auf die Imbissbude und findet: „Kinderen, dit is geen schone mijnheer. We kopen liever bij iemand anders.“ [Kinder, das ist kein sauberer Mann. Wir kaufen lieber bei einem anderen.] Wir sehen das Schwarzweißfoto eines zur Imbissbude umgewidmeten, ziemlich schmuddeligen Wohnwagens und schließen uns dem Votum des Vaters an, denn das macht einen guten Vater aus, dass er seine Kinder vor den Gefahren des Lebens schützt.

Es dauert nicht lange, bis die Kinder durch ein weiteres Schild „Friture“ verlockt werden. Sie rufen etwa: „Maar dit is zeker een schone mijnheer! We willen zijn frietjes!“ [Aber das ist ganz gewiss ein sauberer Mijnheer! Wir wollen seine Fritten!] Im grauen Himmel über diesem Wohnwagen scheinen Wolken zu wabern und ballen sich warnend zu Wörtern wie Pekig, Schmuddelig, Salmonellen, Durchfall, so dass der fürsorgliche Vater rasch das Gaspedal durchtritt. Die nächste Imbissbude ist von Harpyien, Kobolden und anderen Fabelwesen umschwärmt. Manche lehnen vorneübergebeugt an den Wohnwagenecken und kotzen, manche rufen warnende Worte. Es ist ein Elend. Inzwischen sorgt sich die Mutter um ihre hungrigen Kinder. Sie sitzen, ja hängen mehr, enttäuscht und entkräftet in ihren Sitzen. Der Vater, von Grausen geschüttelt, braust mit seiner Familie an zehn solcher Imbissbuden vorbei und hofft, dass die Kinder noch durchhalten.

Er muss freilich jedes Mal angehalten haben, um ein Foto zu schießen. Drum ist die Fotoreihe schäbiger Imbissbuden vielleicht eher entstanden, und er hat die Durchreise mit Kindern erfunden. Niederländer reden und schreiben gerne schlecht über ihre Nachbarn.

Ich habe übrigens nicht geträumt, wie der Traumbericht in meinem Traum bei der sibyllinischen Frau angekommen ist. Bevor ich aufwachte, sah ich sie noch lächeln.