Kapitel I – Kapitel II – Kapitel III
›Wo denken Sie hin, Julius?‹ Augenblicklich war sie zum Sie zurückgekehrt. Ich spürte, wie sich zwischen uns eine imaginäre Mauer schob und gen Himmel wuchs. Silene trat einen Schritt zurück: ›Nie, nie, nie, könnten wir ein Paar werden!‹, rief sie. ›Ich mag Sie wirklich, aber wir leben nicht in der gleichen Welt.‹ Ich zeigte irritiert auf den Fußboden, auf dem wir beide standen. Silene erläuterte: ›Wir sind uns im Museum nur begegnet, weil Tante Margret vor ihrer Abreise kontrollieren wollte, ob ihre Schenkung angemessen präsentiert ist. Morgen bin ich in Oslo, übermorgen nächtige ich in Dubai im Bur al Arab, dem teuersten Hotel der Welt. Wie du siehst, bin ich nur Besucherin in deiner Welt.
Unsere Familie ist nicht etwa reich. Wir sind unermesslich reich, geradezu obszön reich. Ich habe mal eine soziologische Modellgrafik unserer Welt gesehen. Aus einer Stadt auf einem flachen Hügel, in dem die normalen Menschen wie Sie leben, erhebt sich aus dem Zentrum eine Nadel, duchstößt die Wolken und ragt in die Stratosphäre hinaus.
Hoch oben auf der Nadelspitze, die in Wahrheit ein Plateau ist, lebt die Meute der Superreichen, leben Leute wie unsere Familie, Leute wie Tante Margret, Bengt und ich. Die ägyptischen Pharaonen sind unsere Vorfahren. Ihre Macht und ihren Reichtum habe sie von einem uralten Herrschergeschlecht, dessen Name im alten Mesopotanien nur geflüstert werden durfte. Die Ahnen dieser mesopotanischen Herrscher waren wiederum eine Kette von Herrschergeschlechtern vor dem Beginn aller Zeiten. Wir sind außerhalb von Zeit und Raum. Von hoch oben wird die Welt regiert. Wir zetteln Kriege an, inszenieren Hungersnöte und Pandemien. Wir gewähren Frieden und Wohlstand, wo es uns gefällt. Wir sagen euch, wie ihr über die Dinge zu denken habt, wir verfügen Denkverbote.
Wir brauchen euch aus dem einzigen Grund, uns die Hochleistungen in Medizin, Wissenschaft und Technik zu erbringen. Daneben sollt ihr uns die Genüsse dieser Welt erzeugen. Damit meine ich nicht nur die kulinarischen der Haute Cuisine, sondern vor allem den Kunstgenuss in Literatur, bildender Kunst, in der Musik, im Theater, im Sport undundund. Niemand von uns Superreichen wäre in der Lage, diese Hochleistungen menschlicher Fähigkeiten hervorzubringen. Sie entstehen nur unter den Bedingungen der Entbehrung und dem unbedingten Wunsch, hervorzutreten aus der Masse, aufzusteigen und gefeiert zu werden. Uns mit all dem zu dienen, uns also das Leben lebenswert zu machen, dazu seid ihr einfachen Menschen gut und dazu seid ihr da.
Wer jedoch so vermessen ist, unsere Macht zu gefährden, den vernichten wir nach uraltem Recht.‹ Ihre Stimme war immer tiefer geworden und tönte jetzt hohl aus ihrem Mund. Ein eingeübter Theatereffekt wie ihre Asynchronität? ›Ich sage dir alles nur, um dich zu warnen. Wer von unserem Tun Zeugnis ablegt, den töten wir zum Exempel. Und so werden wir auch mit dir verfahren, Julius. Wenn du berichtest, was ich dir gesagt habe, steht Bengt eines Nachts neben deinem Bett und schlachtet dich auf bestialische Weise ab.‹
›Liebes Fräulein‹, sagte ich erschrocken, ›wenn Ihr Bruder einen Vorwand braucht, seinen abseitigen Neigungen nachzugehen, das ist keiner. Man kann längst wissen, dass die Kaste der Superreichen völlig abgehoben lebt vom gemeinen Volk, dass die Vermögensunterschiede derart extrem sind, wie sie nur im Stadt-Nadel-Modell anschaulich gemacht werden können. Wer kein bedauernswerter Tagesschau-Heute-Journal-Papagei ist, weiß längst, dass ihr Superreichen wie Götter das Weltgeschehen kontrolliert und unsere Politker, gleich welcher Coleur, euch wie gutdressierte Dackel gehorchen. Was auch in der Welt geschieht, das habt ihr veranlasst. Ihr kontrolliert die Medien, um das wahre Machtgefüge zu kaschieren. Und die legen uns falsche Zusammenhänge dar. Sie wissen es freilich kaum besser, denn eure Kniffe und Winkelzüge, eure Raffinesse, euer ganzes Wirken können sie nur ahnen. So beschäftigen sie sich und uns mit Kindereien und halten die besten von uns mit Geplänkel bei Laune.‹
Es polterte. Volontär Hanno P. Schmock war eingeschlafen und im Schlaf vom Stuhl gekippt.
»Der gehört schon mal nicht zu den besten von uns«, sagte Redakteurin Andrea Kirchheim-Unterstadt trocken.
Unverständlich wie Volentär Hanno P. Schmock hier einschlafen kann.
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Darum ist er auch nach vielen Jahren noch Volonteur. 😉
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