»Ich habe euch«, eröffnete Chefredakteur Julius Trittenheim die Redaktionskonferenz, »etwas Erstaunliches zu berichten.« Der Vollständigkeit halber:
Es waren anwesend der ewige Volontär Hanno P. Schmock, Redaktionsassistentin Marion von Erlenberg, Redakteurin Andrea Kirchheim-Unterstadt und die drei chronisch arbeitsscheuen Teppichhaus-Humorexperten, deren Namen besser nicht genannt werden.
»Meinen Bericht bitte ich Sie, Frau von Erlenberg, getreulich mitzustenografieren, ab jetzt:
Wie allseits bekannt, habe ich kürzlich eine neue Wohnung bezogen. Das erste, was am angemessenen Platz errichtet wurde, und bald, sicher in der Wand verankert, stand, war meine Bücherwand.
(Ach, lassen Sie das mit den vielen Kommata, Frau von Erlenberg. Das sieht ja aus, als hätten Sie die mit dem Pfefferstreuer verteilt.)«
»Es ist alles grammatisch korrekt«, wehrte sich Marion von Erlenberg. »Aber Ihr Satzbau – naja.«
»Die Bücherwand nimmt fast die gesamte Stirnseite meiner Stube ein. An der linken Wand steht eine hübsche Vitrine. Und genau in die Lücke habe ich schräg einen niedrigen Tisch für das Fernsehgerät gerückt. Der Tisch wurde mir geschenkt. Um ihn aufzuhübschen, habe ich ihn einst mit einem Werbeplakat für eine Kurt-Schwitters-Ausstellung tapeziert. Es hatte exakt die Breite des Tisches, doch unten fehlten etwa 12 Zentimeter. Auf die nackte Stelle habe ich den vierseitigen Titelbogen eines Reisemagazins für Formel-1-Rennen geklebt. Er befindet sich also unter dem Schwittersplakat und lugt sozusagen nur unten raus. Es ist eine Blondine im bauchfreien weißen Top zu sehen, eine von den notorisch namenlosen Schönheiten bei den Formel-1-Rennen, die im Niederländischen die hübsch alliterierende Bezeichnung ‚Pit-Pussen‘ tragen. Das Reisemagazin habe ich in meiner Zeit als Typograf gestaltet. Der Auftraggeber war Reiseveranstalter für exklusive Formel-1-Reisen, ein gewisser Kai Bongartz.
Dieser Mann hat mir tatsächlich einmal eine E-Mail geschickt mit den Worten: ›Ich glaube nicht daran, aber was will man machen: Ich bin jung und brauche das Geld … .‹ Und er sandte mir im Anhang jenen Kettenbrief, der jedem Versender einen ordentlichen Batzen Geld von Bill Gates verspricht. Bill Gates will nämlich sein Vermögen verteilen. Man muss nur ›hier!‹ rufen.
Also, das ist mein Fernsehtisch. Mein nicht besonders großes Fernsehgerät steht sicher, und rundum ist Platz für die diversen Gerätschaften zum Kabelempfang. Alles ist bereitet, aber das Gerät funktioniert nicht, genauer es empfängt keinen Sender, denn die Wandbuchse hinter ihm gibt kein Signal. Für Montag ist ein weiterer Monteursbesuch angekündigt, um den Fehler zu beheben.
Ich bin also seit fünfzehn Tagen ohne Fernsehempfang. Anfänglich habe ich das tägliche Fernsehen schmerzlich vermisst. Ich fühlte mich abgeschnitten von der Außenwelt und meiner Gesellschaft. Man kennt das. Allein lebende Herrschaften wie ich schauen Serien wie beispielsweise die Rosenheimcops und erleben sich selbst in diesem vertrauten Milieu wie Familienmitglieder, genießen die beruhigend stereotypen Abläufe, die immer beginnen mit einem morgendlichen Anruf, derweil der Kommissar in weißblauer Gutshofidyll beim Frühstück in der Sonne sitzt. Noch vor seinem ersten Bissen und dem ersten Schluck Kaffee ruft Kommissariatssekretärin Miriam Stockl an und scheucht ihn auf mit den Worten: ›Guten Morgen, Herr XY! Es gabet a Leich!‹
Frau von Erlenberg schnaufte. »Dauert Ihr ‚erstaunlicher‘ Bericht noch lang? Ich kriege bald einen Handkrampf.«
»Einen Chirospasmus, um Himmels Willen, nein!, liebe Frau von Erlenberg. Wir machen morgen weiter«, sagte Trittenheim mit falscher Fürsorglichkeit. Stühlerücken, erleichterter allgemeiner Aufbruch. Man schaute sich ratlos an und begab sich an irgendeine Arbeit. »Hoffentlich wird’s ka Endlosgschicht‘, und er kommt endlich zur Sach’«, murrte Volontär Schmock »mir san jetzt scho Händ und Füß eingschloafen.«
»Wir werden sehen«, sagte Frau Kirchheim-Unterstadt reserviert.
Haha, solche Redaktionskonferenzen hält ja kein Mensch aus 🙂
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Sind ja zum Glück keine Menschen, sondern alles Kunstfiguren.
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15 Tage auf Entzug, allerhand. Hat das neben dem tendenziellen Einsamkeitsgefühl auch etwas Positives bewirkt?
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Das ist das Thema der Erzählung. Zeigt sich aber erst im letzten Kapitel.
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Dann werde ich mich mal gedulden…
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