Kein Signal

Am 16. Dezember 2008 saß ich, aus Aachen kommend, zwischen Umzugskartons und zerlegten Möbeln in meiner neuen Wohnung in Hannover-Linden. Was in den Tagen darauf als Erstes entstand, war meine neue Bücherwand. Gut 14 Tage ohne Fernsehen und Internet fand ich Ablenkung und Kurzweil allein bei meinen rasch und willkürlich einsortierten Büchern. Es war eine glückliche Zeit. Ich will nicht behaupten, dass sie endete, als ich wieder Zugang zum Internet hatte. Wenn im Internet so etwas wie Glück zu finden ist, dann ist es ein anderes Glück, eines, das immer neue Impulse braucht, weil es wie ein Streichholz aufflammt und verraucht ist, bevor man sich darüber die Hände gewärmt hat.

Zurück in die fassbare Realität. Inzwischen bin ich in die besser geschnittene und frisch renovierte Nachbarwohnung umgezogen. Dank lieber Helferinnen und Helfer ist fast alles an seinem Platz. Die Bücherwand ist prächtiger als zuvor, denn sie ist von Ballast befreit, und ich nutzte die Gelegenheit, die Bücher endlich alphabetisch zu ordnen. In der neuen Wohnung gibt es jedoch ein technisches Problem. TV geht gar nicht, weil über die vorhandene Steckdose kein brauchbares Signal ankomme, so dass ein neues Kabel gezogen werden müsse, behauptete gestern ein Techniker. Übrigens habe ich selten so einen ungehobelten Kerl hereinlassen müssen wie diesen Steigbügelhalter auf das Schaukelpferd der Surrogate. Bestünde das Heer der Kabeltechniker nur aus solch finsteren Typen, hätte sich wohl kein Mensch von Verstand und Geschmack überhaupt ans Internet anschließen lassen. Ich hoffe, für meinen Internetzugang sind keine baulichen Maßnahmen nötig, und der Mann war einfach nur unfähig oder wollte eine teure Dienstleistung verkaufen.

Vorerst steht mein Router noch nebenan in der alten Wohnung. Das heißt, ich werde ab dem 1. Februar vielleicht ohne Fernsehen und Internet sein. Mit dem Gedanken freunde ich mich gerade an. Das bietet Gelegenheit, mal wieder in Ruhe zu lesen, und die Bücherwand hat wie vor 14 Jahren meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Gestern Abend kam zu einer Stippvisite Freund Konrad Fischer aka Herr Leisetöne aka Spraakvansmaak vorbei und wir redeten über Bücher. Ich zeigte ihm, dass die gebundene Ausgabe der „Handschrift von Saragossa“ von Jan Graf Potocki jetzt neben der hübschen zweibändigen Insel-Taschenbuch-Ausgabe steht, und Literaturkenner Spraakvansmaak erfreute mich mit einer begeisterten Analyse der Bauweise des Romans, bei dem Rahmenhandlung, Binnenerzählung und Binnenerzählungen in Binnenerzählungen so genial miteinander verwoben sind, dass die Ebenen sich vermischen. Ich sagte, dass Herbert Rosendorfer das Prinzip im Roman „Der Ruinenbaumeister“ noch auf die Spitze getrieben hätte. Spraakvansmaak kannte den Roman natürlich auch, und so bot er einen erbaulichen Kontrast zum unheilverkündenden Kabelheini vom Morgen.

Es wäre falsch eine Konkurrenz aufzumachen zwischen der fassbaren und digitalen Welt, denn die Bereiche sind inzwischen stark verwoben. Viele liebe Kontakte sind über das Bloggen entstanden. Auch Freund Spraakvansmaak lernte ich vor gut 12 Jahren über mein Teppichhaus Trithemius bei towday.net kennen. Aber eine Kommunikationsstörung zwischen mir und dem Internet ist manchmal ganz heilsam.