Fremder Planet

Ich fühlte mich schleichend unbehaust in meiner alten Welt. Dann wuchs der Wunsch nach Verbesserung meiner Lebensbedingungen. Als sich eine Gelegenheit anbot, rupfte ich meine alte Welt auseinander, war entschlossen, hier alles aufzugeben, um einen neuen Planeten zu besiedeln. Gewiss gibt es schönere Orte im Kosmos als das Ziel meiner Träume. Aber dieser Ort reicht mir. Meine Bedürfnisse sind gering. Wenn alles bereitet ist, werde ich mich beglückwünschen, den Schritt getan zu haben. Vor Monaten haben Techniker begonnen, den verlassenen Planeten wieder bewohnbar zu machen. Was die Fachleute „Terraforming“ nennen, geschah freilich schon vor über hundert Jahren.

Ich weiß nicht, wer die ersten Siedler waren, weiß nur vom letzten. Nein, er ist nicht im Zweiten Krieg der Sterne umgekommen wie seine Vorgänger, sondern ist unbeschadet ausgewandert, hat glücklicherweise auch jene seltsamen Wesen mitgenommen, die er illegal hergebracht hatte. Wären sie in Freiheit gelangt, hätten sie sich unkontrolliert vermehrt und hätten im Nu den gesamten Planeten erobert. Man kennt das von irdischen Inseln, auf die unvorsichtige Siedler Katzen, Ratten oder andere Tiere gebracht haben. Ohne natürliche Feinde haben sie das gesamte Ökosystem zugrunde gerichtet. Eine derartige Plage hätte meine Übersiedlung unmöglich gemacht.

Obwohl mein neuer Heimatplanet recht einfach zu erreichen ist, ein Wurmloch lässt mich bequem hin- und her pendeln, dauert die Übersiedlung an. So führe ich eine Zwischenexistenz, bin nicht recht hier und nicht richtig dort. Aber ich versuche, mein Leben schon zu verlagern, so gut es geht, um mich an die Verlassenheit zu gewöhnen. Auf meinem neuen Planeten wäre außer mir niemand. Weil er mir nicht vertraut ist, fühle ich mich in die Welt geworfen und mir ist unheimlich.

Kürzlich erstarrte ich. Ein Schauer zog über meinen Rücken und ließ mich aufhorchen. Da waren Schritte, wanderten hierhin, dorthin. Ich blickte mich vergeblich um und rief: „Hallo! Ist da jemand?!“ Keine Antwort. Nur Schritte, wo sie nicht hätten sein dürfen. Sollte ich doch nicht allein sein? Eventuell wird der Urheber der Schritte vom Spektrum dieser Sonne nicht erfasst. Dann wäre dieser heimliche Mitbewohner nicht von diesem Planeten, sondern wie ich nur zugereist. Oder mein Augenlicht wäre ungeeignet, das Wesen zu sehen. Aber wie ist es umgekehrt? Kann es mich sehen? Steht es gerade jetzt neben mir und betrachtet mich, hat sich angeschlichen und beobachtet all mein Tun?

Von der Erde kenne ich das Gefühl. Vor Äonen wurde ich als Katholik erzogen. Da wurde mir Kind gesagt: „Der liebe Gott sieht alles.“ Alles? Nach katholischer Lehre findet Gott des Menschen Nacktheit grundsätzlich unkeusch, weshalb schon Adam und Eva sich schämten. Als Kind stellte ich mir vor, wenn dieser Gott nackte Menschen sehen würde, hätte er, wo die unkeuschen Stellen sind, einen blinden Fleck. Dass er nicht alles sehen kann, was er angeblich selbst geschaffen hat, ließ mich an seiner Allmacht zweifeln.

Welche Macht hat ein Wesen, das nur Schritt ist? Ich werde es herausfinden, wenn mein Umzug in die prächtig renovierte Nachbarwohnung geschafft ist.

5 Kommentare zu “Fremder Planet

      • Selbstverständlich lieber Jules, du bist Herr deiner Geschichten und deine literaische Freiheit sei dir gewährt. Bin gespannt auf die Fortsetzung. Ein Kollege hatte mir einmal ähnliches erzählt. Sein Onkel wohnte im hessischen Ried in seinem Elternhaus. Man sagte, dass sein Urgroßvater dort umging. De Onkel hörte tatsächlich des Nachts Schritte auf der Treppe, abe es war nie jemand da. Dann hatte er sogar Mehl auf die Stufen gestreut, um zu sehen, ob da tatsächlich jemand hoch oder herunter ging. Aber es war nichts zu sehen. Es geschahen auch sonst manchmal merkwürdige Dinge, so dass er ausgezogen ist, weil er es nicht mehr aushielt.

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