Auch nach ihrem Abitur haben einige Schülerinnen und Schüler den Kontakt zu mir gehalten. Ein Schüler war noch Jahre mein Radsport-Trainingspartner, zwei Schülerinnen schrieben mir lange Zeit aus ihren Studienorten Berlin und Wien, damals noch echte Briefe. Mit der „Wienerin“ besteht der Kontakt noch immer. Inzwischen ist sie Mutter einer kleinen Tochter und lebt im Köln-Bonner Raum. Kürzlich schrieb sie zu meiner Verwunderung, sie erwäge, in Lützerath zu demonstrieren. Die Auseinandersetzungen um den Weiler Lützerath bewegen offenbar auch jene Menschen, die sonst nicht in der Klimaschutzbewegung aktiv sind.
Wenn Medien über die Proteste in Lützerath berichten, zeigen sie die Ergebnisse politischen Versagens. Die Politik ist unter der Beteiligung der Grünen vor dem Energiekonzern RWE eingeknickt. Im Fernsehen versuchte Robert Habeck zu erklären, dass der mit RWE ausgehandelte Kompromiss zum vorgezogenen Kohleausstieg insgesamt mehr fürs Klima brächte als vorher zu erwarten. Dafür müsse Lützerath leider geopfert werden. In seiner Darstellung geht es also um Quantitäten. Die Kohle unter Lützerath und der Weiler darüber sind aus der Sicht eines Bundesministers nicht wichtig genug. Doch unabhängig vom nüchternen Kalkül wirkt der Ort wie ein Faustpfand in der quetschenden Hand eines übermächtigen Energieriesen, der Jahrzehnte in der Region nach Belieben schalten und walten durfte. Das macht das unbedeutende Lützerath zum wirkmächtigen Symbol.
In meiner Aachener Zeit habe ich nahe dem Braunkohletagebau gelebt und bin als Radsportler in Gegenden herumgefahren, die jetzt in gigantischen Löchern versunken sind und von deren Ortschaften nur noch alte Karten erzählen. Gewiss bin ich auch durch Lützerath gefahren. Ebenso war es mit dem Hambacher Forst. Der war damals schon so winzig, dass ich zuerst nicht wusste, wovon die Rede war, als er in den Medien auftauchte. Schon der Hambacher Forst hat gezeigt, so klein und unbedeutend derlei Orte sind, ihre Symbolkraft ist riesig. Auch ein körperloses Symbol kann gewaltig schaden, wenn es einem auf die Füße fällt.
Hör mir auf mit den grünen Opferpriestern. Trittin, Baerbock oder Habeck sind allenfalls grausige Klons des damals ersten Umweltministers im hessischen Landtag.
Sie verraten und opfern jedes noch so kleine Ideal für ihren Machterhalt.
Das einzig positive Moment an der grünen Politik: man wird unweigerlich Realist, fern von jeglichen Illusionen.
Trotzall diesen Widerwärtigkeiten wünsche ich Dir ein schönes Wochenende
Robert (nicht Habeck!!!)
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Glücklicherweise war ich nie Parteigänger der Grünen. So blieb mir der Frust erspart, der aus deinen Worten tönt.
Trotzdem schönen Sonntag
Jules
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Irgendwie ist Lützerath wie gendergerechte Sprache. Das Althergebrachte, Gewachsene wird, weil einige darin Vorteile sehen, einfach plattgemacht. Sprache wächst, ändert sich, Begriffe sterben und neue kommen hinzu. Dörfer wachsen, manche werden zu Städten, manche verändern nur ihr Aussehen und manche sterben. Aber da, wo das Wachsen und Sterben von Politikern über die Köpfe der Menschen hinweg verordnet wird, da tut es weh.
Kennst Du das Lied „Ich bin ein guter Untertan“ bzw. die Umdichtung aus den 80ern „Ich bin ein guter Demokrat“? Das Original stammte von 1849. Geändert hat sich seitdem nicht viel…
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Im rheinischen Braunkohlerevier geht es ja schon Jahrzehnte so. Wie da Heimat verheizt wurde, ist eine ganz traurige Geschichte. Dass dagegen viele Menschen demonstrieren, ist eine relativ neue Erscheinung. Zum Lied: „Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten.“
(Kurt Tucholsky)
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Da hatte Tucholsky recht. Solange die Menschen, die gewählt werden können, diejenigen sind, die gewählt werden wollen, ändert sich nichts. Auch Monarchien sind da allerdings keine Lösung, denn die nicht gewählten Monarchen sind Abkömmlinge von Menschen, die noch viel dringender herrschen wollten als handelsübliche Politiker. Sowas vererbt sich wohl…
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Kurioser Weise handeln die Grünen jetzt gegen ihre Grundsätze, wie es schon die SPD bei der Einführung von Hartz IV getan hat. Beides hätte eine CDU-geführte Regierung niemals durchsetzen können. Letztlich zeigt sich, dass es egal ist, wer an der Macht ist. Sie tanzen alle nach der Pfeife des Großkapitals.
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Vor den Wahlen hatten viele meiner konservativen Bekannten eine heidenangst vor den Grünen. Die sind mittlerweile alle positiv überrascht.
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Eine interessante Beobachtung. Nur: was ist der Inhalt des Konservatismus, wenn nicht zB der Erhalt von kleinen Dorfstrukturen wie Lützerat? Wer ist hier konservativ?
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Der Inhalt beschränkt sich auf Erhalt des Ist-Zustands, um den eigenen Wohlstand zu wahren.
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Ein trauriger Befund, ohne geistig-politischen Inhalt. Erinnert mich an Adenauers „keine Experimente“. Konservatismus drückt sich für mich eher aus in Goethes „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“.
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@ Sybille,
„Positiv überrascht?“ – weil die Grünen ihre wichtigsten Grundsätze vergessen haben?
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🙂 Weil sie die Agende der Ungrünen, in Sibylles Formulierung der Konservativen, übernommen haben.
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Mit den goldenen Grundsätzen halten es die Grünen recht locker, ja. War aber eigentlich schon vor der Wahl klar.
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gerade das regt mich auf, meine schlimmsten befürchtungen sind eingetreten. ich hatte nichts anderes von den grünen erwartet, hätte mich gerne geirrt. es liegt auch am parteien- wahlsystem, wer was werden will, wird glatt geschliffen. und ohne partei hat niemand eine stimme.
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exactamundo!
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Ich vermute auch, dass es bei Symbolorten wie Lützerath oder Hambacher Forst um mehr geht als um das, was an der Oberfläche ausgetragen wird. Es geht wohl um Geschichtsverständnis. Vielleicht ohne sich dessen bewusst zu sein, sind die Protestler erfüllt von den Gedanken jener, die ihren Namen mit den Orten früher verbunden haben. Beim „Hambacher Forst“ ist das offensichtlich die deutschnationale Demokratiebewegung des frühen 19. Jahrhunderts. Bei Lützerath? Der Ortsname verweist, wie ich lese, auf eine Rodung, Es wurde Wald gerodet, um für Landwirtschaft Platz zu machen. Nutznießer waren die Kirche bzw der Adel, in deren Abhängigkeit die Bauern das Feld bestellten. Die später dort angesiedelte Industrie veränderte nur die Form der Abhängigkeit, führte schließlich zur Zerstörung der Ansiedlung, der Güter und Kirchen, des verbliebenen Waldes sowiedso. Was also soll hier gerettet werden? Welcher Geist will sich hier durchsetzen? Der uralte des Waldes, der hier einmal stand, bevor die erste Rodung ihn angriff und schließlich beseitigte?
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Der Hambacher Forst liegt zwischen Köln und Aachen und hat nichts gemein mit dem Hambacher Schloss bei Neustadt an der Weinstraße und der Geburt der Demokratie im Jahr 1832. Mich wundert, dass es Jahrzehnte kaum Protest gab beim Abbaggern der Dörfer der Region und dass jetzt die genannten Orte Symbolcharakter bekommen haben, sehr zum Unwillen von Habeck: „Lützerath ist das falsche Symbol.“ Das freilich kan er nicht bestimmen.
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Danke für die Korrektur. Es ist dennoch möglich, dass der „Hambacher Forst“ deshalb so viel Protestpotential in Bewegung setzen konnte, weil der Wort-Gleichklang „Hambacher Forst“/ „Hambacher Fest“ zu kräftigenden Assoziationen führt, etwa derart: „Lasst uns das Volk gegen staatliche Willkürhandlungen verteidigen.“
„Lützerath“ bekommt durch seine Wort-Ähnlichkeit mit „Lützen“ einen starken Impuls bekommt. Die Schlacht von Lützen war ja DAS traumatische Ereignis des 30-jährigen Krieges (Tod von Gustav II Adolf) und von daher ins historische Bewusstsein auch der Deutschen eingetragen, die nie Geschichtsunterricht hatten.
Zu weit hergeholt? Mag sein. Ich habe halt die Neigung, so assoziativ zu denken.
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-rath, -rade, -rode, -rott, den Namensbestandtteil für „Rodung“ gibt es oft im Rheinland. Ich habe mich belehren lassen, dass Lütze verwandt ist mit Lütte = klein, demnach ist Lützerath „kleine Rodung.“ „Assoziativ“ ist schön: Zum Tod von Gustav II Adolf hier die Ballade von Theodor Fontane, handschriftlich von einer Schülergroßmutter zur Demonstration der Kurrent

Fortsetzung hier
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Hm, jetzt weiß ich grad nicht, was ich da sagen soll, außer dass ich ein bisschen verwundert bin über die große Aufregung und Verwunderung. Die Wüstung Lützerath wurde ja schon lange von ihren Bewohnern verlassen (der Grund dafür mag zweifelhaft sein). Ich gebe dir absolut recht mit deiner Aussage: „Auch ein körperloses Symbol kann gewaltig schaden, wenn es einem auf die Füße fällt.“ Das ist gerade das, was wir hier erleben, ein Orkan im Wasserglas. Gegen die Politik zu schimpfen ist immer en Vogue, hat aber seit tausenden von Jahren nur wenig gebracht. Trotzdem lebe ich in einem Land, in dem ich mehr zu danken als zu schimpfen habe. Das ist aber selbstverständlich eine sehr persönliche Empfindung. Protestlieder singe ich auch gerne, aber das ist eher Nostalgie als Realismus.
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In den „tausenden von Jahren“ hat sich wohl politisch einiges verändert. Unsere Demokratie besteht grad mal seit 1945. Erst seither bleibt das Schimpfen auf die Politik meist folgenlos. Unser Grundgesetz sichert das Recht auf Demonstration und zivilen Widerstand gegen die Staatsgewalt. Dass es im Braunkohletagebau erst seit kurzem zu größeren Protesten kommt, ist wohl der Klimaveränderung geschuldet.
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Ja, das ist wohl so. In den 50er und 60er Jahren war wohl noch der Eindruck des Krieges vorherrschend und die Menschen waren froh Arbeit zu haben. Da wurde vieles akzeptiert, wofür die Menschen heute auf die Barikaden gehen. Ich spreche aber trotzdem nicht von der verwöhnten Jugend, denn ich war selbst in meiner Jugend immer wieder auf Demos und wollte die Welt besser machen. Ja da habe ich auch grün gewählt. Jetzt bin ich im Marsch durch die Institutionen sozusagen stecken geblieben. In Lützerath würde ich jedenfalls nicht protestieren, trotz aller dort wohl vorherrschenden Liebe.
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