Ich stapfe die Hauptstraße hinauf, mit 25 Prozent Steigung Aachens steilste Straße. Gleich zu Beginn tut sich rechts ein Gässchen auf, das Kaltbachgässchen. Das hatte ich völlig vergessen, obwohl ich 25 Jahre in Aachen und fünf davon in Burtscheid gelebt habe. Hätte mich gestern jemand nach dem Kaltbachgässchen gefragt, hätte ich bestritten, dass es existiert. Etwa 50 Meter weiter oberhalb zweigt rechts der Hauptstraße ein steiler Weg ab, der bald in eine Treppe übergeht. Sie wird offenbar selten bestiegen, weil Gras auf den Stufen wächst. Die vergessene Treppe regt kurz meine Fantasie an, aber ich gerate ins Schnaufen und brauche meine Energie woanders. Die Treppe führt völlig unspektakulär zum Ende der Bendstraße, die parallel zur Hauptstraße ansteigt. „Bend“ bedeutet Wiese. Es gibt in der Eifel im Rurtal einen Ort namens Abenden. Das A steht für Wasser, benden für Wiese. Abenden ist demnach keine Flexion von Abend, sondern bedeutet Wasserwiese. Dieter Kühn hat seinen wunderbaren Parzival-Roman, diese Zeitreise ins Leben des Wolfram von Eschenbach, in Abenden beginnen lassen.
Ein Kaltbach war nötig, als die Römer in Burtscheid siedelten und die heißen Quellen für ihre Thermen nutzten. Damit ihr Brauchwasser nicht durch die salzigen Thermalquellen verunreinigt wurde, haben sie die im südlich gelegenen Stadtwald entspringende Wurm umgeleitet. Die Namensgebung gehe auf die Kelten zurück. Sie hätten das Flüsschen „Warm“ genannt, wegen der Thermalquellen, die es aufheizten. Gesichert ist nur, dass die meisten unserer Flussnamen keltischen Ursprung sind. Für Wurm gleich warm gibt es keine Belege. Zu Zeiten der Römer war die Wurm nicht mehr warm.
Was hat den Rat der Stadt Burtscheid Mitte des 19. Jahrhunderts wohl bewogen, ausgerechnet den Heißberg als Ort für den neuen Stadtfriedhof zu wählen? Am Heißberg ist es so steil, dass der Stadtrat im Jahr 1852 ein Bauunternehmen beauftragen musste, eine seitliche Umfassungsmauer hochzuziehen. Der zentrale Weg durch die Gräber verlangt mir einiges an Puste ab. Ich stelle mir die Sargträger vor, die einen dicken Tuchfabrikanten hochschleppen mussten. Wenn die hinteren einknickten, stand die fette Leich wieder auf den Füßen.
Was für eine makabere Vorstellung! Und warum ein Tuchfabrikant? Gab es in und um Aachen Textilindustrie in größerem Umfang? Die bergige Lage Aachens fand ich übrigens sehr attraktiv, sie erinnerte mich auch etwas an meine Kindheit in Hagen.
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Auf dem Heißbergfriedhof gibt es pompöse Fabrikantengräber. Über Tuchindustrie in Aachen lies hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Tuchindustrie_in_Aachen
Aachens Umland hat quasi alles, süd- und südwestlich Hügel sowie nördlich und nordöstlich Ebenen.
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Anfang der 1970-er Jahre war ich übrigens einmal in Hagen in der Jugendherberge. Sie lag hoch oben im Wald. Nach allem, was ich übers Bergische Land weiß, sind die Höhenzüge höher als bei Aachen, wo die tiefen Rinnen von den Bächen ausgewaschen wurden.
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Ja, um Hagen herum war es eine Mittelgebirgslandschaft und in der Stadt, zumindest am Stadtrand, gab es recht steile Straßen. In Aachen, auf dem Weg zu unserem Hotel, das wohl an der Stelle des alten Stadions lag, des bundesweit bekannten Tivolis, gab es auch so eine ordentliche Steigung. Ich erinnere mich daran, weil wir mit den Fahrrädern dort unterwegs waren.
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Ja, vom Tal der Soers aus ist jeder Anstieg steil. Besonders der Anstieg zur Bastei zieht sich, ist vor allem nicht angenehm zu fahren, weil die schnurgerade Krefelder Straße sehr befahren ist.
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Einen Beleg, dass die Wurm zur Keltenzeit “Warm“ genannt worden wäre, konnte ich auch keinen finden* – hingegen für einige alte Mundartausdrücke wie “wirm“, “wyrm“, “würm“ mit dieser Bedeutung. Ob sich aber der Bachname davon herleiten lässt, weiß ich freilich nicht.
(Nach dieser Darstellung erscheint es übrigens so, dass mit der Wurm der Warme Bach gemeint ist, aus welchem der Kalte Bach abgezweigt und umgeleitet wurde. Hier wiederum [aus 1850, also wesentlich früher] wird es aber genau umgekehrt dargestellt: »Die Wurm und ein aus den vereinigten heißen Quellen gebildeter Bach, der Warmenbach, fließen hier nebeneinander und verbinden sich erst [usw.]« Welcher Bach nun wirklich die Wurm ist, der warme oder ein anderer, lässt sich aus den beiden divergenten Darstellungen nicht erschließen.)
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Vielen Dank für die sorgfältige Recherche, lieber Kollege. Dass aus der Wurm, nachdem sie das Wasser der heißen Quellen aufgenommen hat, der kalte Bach abgezweigt wurde, ist wohl unwahrscheinlich, denn das Wasser aus den Thermalquellen ist auch erkaltet mit Mineralsalzen versetzt und als Brauchwasser ungeeignet. Die umgekehrte Darstellung ist plausibel. Allerdings liegen die Wurmquellen südlich von Burtscheid, weshalb die Wurm nicht mit dem Warmenbach identisch sein kann. Das Nebeneinander von Kalt- und Warmbach würde auch erklärten, woher das Kaltbachgässchen parallel zur Dammstraße gelegen, seinen Namen hat. Dass beide Bäche nur durch eine Mauer getrennt verliefen, erklärt vielleicht auch den Flurnamen Dammstraße.
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Übrigens musste ich über deine eigenwillige Kausalerklärung lachen: „Sie (die Treppe) wird offenbar selten bestiegen, weil Gras auf den Stufen wächst.“
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Lachen ist immer gut. Doch nicht wirklich eigenwillig begründet. Schon das Deutsche Wörterbuch verzeichnet sprichwörtlich „da jedermann gehet, waͤchst kein grasz.“
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„Sie wird offenbar selten bestiegen, weil Gras auf den Stufen wächst“ unterstellt, dass das Wachsen des Grases die Ursache fürs wenige Betreten sei. Ich denke, richtig wäre es umgekehrt: Weil sie selten bestiegen wird, wächst Gras auf den Stufen. Oder meinst du, „weil“ könne auch stehen für „was ich daraus schließe, dass“?
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Du hast Recht. Missverständlich ausgedrückt. 😉 Die Burtscheider meiden die Stufen nicht, weil Gras dort wächst, sondern Gras wächst, weil die Stufen kaum betreten werden. Der erste Fall hat etwas von „Rasen betreten verboten.“
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