„Lass es mich botanisch erklären“, sagte Coster, der dubiose Professor für Pataphysik und Leiter des Instituts für Nachrichtengeräte der RWTH Aachen. „Es gibt eine Kletterpflanze, eine Bohne, glaube ich, die feine, dünne Sprossen treibt mit spiralförmigen Haken an ihren Enden. Diese Sprossen züngeln zunächst ziellos umher, aus eigener Kraft oder vom Wind bewegt, bis eines der spiralförmigen Enden an einen Widerstand stößt, der es ihr möglich macht, sich zu verhaken, um daran aufwärts zu wachsen. So wächst die Pflanze dem Licht entgegen.“
„Ja, und? Ich komme vom Land und habe schon gesehen, wie Stangenbohnen wachsen.“
„Gelegentlich habe ich Gedanken wie diese feinen Ranken. Seltsamerweise treten sie nur an bestimmten Orten auf, neben meinem Bett und besonders im Bad. Urplötzlich sind sie da, und von einem Hauch des Willens bewegt, hangeln sie irgendwo hin. Da sie nichts finden, woran sie sich klammern könnten, bleibt es dabei. Trotzdem beschäftigt mich dieses Phänomen. Wodurch wird es ausgelöst? Wozu ist es gut? Ich meine, jede menschliche Lebensäußerung hat doch irgendein Ziel. Diese Gedankenranken, dieses fruchtlose Züngeln nach Personen und Orten macht mich ganz verrückt.“
„Was meinen Sie mit ,fruchtlos‘, Coster? Sollen da Bohnen wachsen?“
„Quatsch. Metaphorisch natürlich, im Sinne von ohne Ergebnis. Zum Glück. Denn was, so frage ich mich, wenn eine solche Ranke es mal schafft, sich in der Imagination zu verhaken, wenn der Trieb wächst und wächst, mir Lebenskraft absaugt, davon immer stärker wird und mich hinüberzieht in diese Fremde?“
„Da hätten Sie das Ergebnis, die Frucht Ihrer sich hangelnden Gedanken. Vielleicht wäre es klüger, derlei erst gar nicht zu riskieren.“
„Andererseits regt sich mein Forschergeist. Ich wollte wissen, was daraus werden könnte.“
„Wenn ich Sie richtig interpretiere, geht es um Profanes, also die Gedankeln züngeln quasi waagerecht. Wenn sie nach oben streben würden, könnte man sagen, es geht um das Streben nach Erleuchtung?“
„Ich bezweifle einen Unterschied.“
Das jede menschliche Lebens äußerung irgendein Ziel haben soll, finde ich sehr bedenkenswert und irgendwie beunruhigend…
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Ja, finde ich auch. Trotzdem denke ich darüber nach, ob es Lebensäußerungen gibt, die per se ziellos sind.
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In weiterem Sinn wahrscheinlich nicht, aber ich denke, es ist eine Definitionsfrage …
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Costers Frage „Was meinen Sie mit ,fruchtlos‘?“ hat mich überrascht. Ich hätte an der Stelle viel eher die Frage „Was meinen Sie mit ‚verrückt'“? erwartet.
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Dann hätte sich der Text für dich erwartbar entsponnen? Ich dachte, das Unerwartete macht den Reiz des Lebens aus. 😉
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