„In aller Bescheidemheit möchte ich mir den Hinweis erlauben, dass auch und gerade in den Vor-Telefonzeiten das überraschende Klingeln an der Haustür, also das rücksichtslose Selbsteinladen bei einem Nachbarn oder Bekannten, nicht unüblich war, wie ich von Zeitzeugen weiß“, schrieb mir ein Freund, nachdem er meinen Telefonhassertext gelesen hatte.
Tatsächlich kenne ich das Verhalten auch noch gut aus der Zeit von Kindheit und Jugend in den 1950-1960-er Jahren. Beispielsweise luden wir Kinder der Bruchstraße uns am Samstagnachmittag beim Bauern Balzer ins Wohnzimmer ein. Balzers hatten als einzige in der Nachbarschaft ein Fernsehgerät.
Nach und nach trudelten die Kinder dort ein, suchten sich wortlos einen Sitzplatz, um die Kindersendung „Samstagnachmittag zu Hause“ anzuschauen. Intro war ein kurzer Zeichentrickfilm, in dem eine mütterlich dicke Frau vors Haus trat und die Straße hinauf und hinab rief. Von links und rechts kamen die Kinder angerannt und versammelten sich in perfekter Übereinstimmung mit der Realität vor dem Fernsehgerät. Innerhalb dieses Sendeformats wurde jeweils eine Folge von Lassie gezeigt, glaube ich mich zu erinnern.
Auch die Erwachsenen besuchten sich gegenseitig ohne Voranmeldung, drückten einfach die Türklinken der nie abgeschlossenen Wohnungen hinunter und traten ein. Noch in den 1980-er Jahren erlebte ich etwas Ähnliches. Ich war mit Frau und Kindern im niederländischen Mergelland unterwegs, steuerte den Familienbus leichtsinnig zu einem Picknickplatz auf einer abschüssigen Wiese und fuhr mich im unteren sumpfigen Stück fest. An der wenig befahrenen Straße bat ich einen einsamen Spaziergänger um Hilfe. Er sagte, er kenne einen Bauern der Gegend und werde mich hinbringen. Das Gehöft lag in sonntäglicher Ruhe. Der Mann ging trotzdem einfach ins Haus und suchte den Bauern. Wir fanden ihn später auf dem Feld, und er half mir mit seinem Trecker aus der Patsche.
Sich vor einem Besuch anzumelden, muss eine neuartige Sitte sein. Die Radiomoderatorin Siska Schoeters hatte einmal einen niederländischen Kabarettisten zu Gast in ihrer Sendung beim flämischen Musiksender Studio Brussel. Der interessierte sich für spezielle Verhaltensweisen der Flamen, denn Niederländer und Flamen haben zwar eine gemeinsame Schriftsprache, doch ganz unterschiedliche Sitten und Gebräuche. Siska Schoeters sagte, bei den Flamen sei es üblich, sich nach dem Heimkommen Hose oder Rock auszuziehen und in der Wohnung in Unterhose bzw. Slip umherzulaufen. Die Aussage wurde nie dementiert.
Privat ist der Flame/die Flämin also in Unterhose. Das ginge ja nicht, wenn man jederzeit mit dem Eindringen Fremder zu rechnen hätte, die grad ein bisschen Fernsehen möchten oder abgeschleppt werden wollen.
so assoziativ fällt mir eine Szene aus dem Film Rain man ein, als nämlich der Autist eine bestimmte Fernsehsendung sehen MUSS,und bei einer völlig fremden Familie an die Tür klopft und auch eingelassen wird…ja, früher ging es anders zu…
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An die Szene erinnere ich mich grad nicht. Aber Fernsehen ist in jedem Fall kommunikativer mit Gästen.
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Deine Schlussfolgerung wg Unterhose und spontanem Eintreten klingt schlüssig, doch kommt es auch vor, dass der Hausherr „Moment bitte“ ruft, um sich schnell anzuziehen, während der unangemeldete Besucher brav in der offenen Tür wartet. Jedenfalls hier auf dem Dorfe. In der Stadt natürlich nicht.
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„Moment bitte!“, verheddert sich in der Eile in einem Hosenbein, stürzt und bricht sich die Gräten 😉
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Nicht unbedingt, wenn der Moment-bitte-Sager darin geübt ist, sich schnell zu bekleiden, weil es halt nichts Ungewöhnliches ist. 🙂
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beinahe sehnsüchtig erinnere ich mich an diese zeiten der spontanbesuche. in der stadt zwar nicht mit offenen türen, aber dafür im osten bis weit in die achtziger, da telefone dort auch zu dieser zeit noch mangelware waren. was so übel dann doch nicht ist. die einen ermutigt es, unwichtig nachrichten in epischer breite zu ver-breiten. die anderen glauben, sich durch belanglose anrufe von besuchen freikaufen zu können.
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„Die Erinnerung malt mit goldenem Pinsel“, zitierte Freund Lo einmal ein chinesisches Sprichwort. Ein Blogfreund in Mücheln (Geiseltal) schilderte einst, dass sich die Nachbarn im Sommer abends zum Plausch vor die Tür gesetzt hätten. Seit der Wende säßen alle drinnen vor dem Fernsehgerät.
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erwischt! die zeit damals war nicht schön, weil wir keine telefone hatten, sondern OBWOHL wir keine telefone hatten. und natürlich weil wir jung waren. 🙂
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Auch wenn ich es unglaublich gemütlich finde wenn die offenen Türen gelebt werden, mir ist es ganz recht wenn ich ein paar Minuten vorher angerufen und vorgewarnt werde. Nicht unbedingt weil ich in der Unterhose durch das Haus laufe, sondern weil meine ganz privaten Wohlfühlklamotten besser privat bleiben. Meint zumindest mein Freund, der sich natürlich nie anmeldet. 😉
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Verstehe ich sehr gut, liebe Mitzi. Mir geht es ähnlich. Die „privaten Wohlfühlklamotten“ sollten gesellschaftsfähig sein, bzw. was man in der Öffentlichkeit trägt, müsste bequem genug sein, dass man es auch in der Wohnung tragen mag.
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Ach ja…das wäre schön 🙂
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