Unterwegs

Guten Tag, meine lieben Damen und Herren,
heute lesen Sie gerne etwas über Sprachmoden und dumme Floskeln. Die lauern wie Wegelagerer hinter Hecken und Mauerecken auf ihre Opfer. Da kommt ein Menschlein nichts ahnend pfeifend daher, und schon springt ihm die Floskel in den Nacken, packt es bei den Ohren und übernimmt die Kontrolle. Fragst du es jetzt nach seinem Beruf, stammelt es: „Ich bin in Design unterwegs.“ „Ach, wie hübsch“, sagst du, „als Zeichner auf der Walz oder als Handelsreisender mit Musterkoffer?“ Und du fährst fort: „Ich bin als Sprachkritiker unterwegs und treffe immer wieder Deppen, die gerade mit den neuesten Sprachfloskeln hausieren.

„Ich bezweifle, dass Sprachkritik überhaupt sinnvoll ist“, erwidert das Mensch, das in Design unterwegs ist. „Gehören Sprachmoden nicht zum Sprachwandel, von dem ja bekannt ist, dass er unabdingbar ist für eine lebendige Sprache? Nur tote Sprachen verändern sich nicht mehr. Mithin können am Ende des Tages auch keine Sprachmoden mehr eindringen. Sprachwandel ist anarchisch, und da ist es albern, dass ein selbsternannter Sprachkritiker daher kommt und eine Entwicklung schurigelt, nur weil sie ihm gegen den Strich geht.“

„Das ist richtig, aber leider falsch. Was ich kritisiere, sind Blähformeln. Wenn jemand sagt: ‚Ich bin in Design unterwegs‘, wo ein schlichtes ‚Ich bin Designerin‘ klarer wäre, halte ich dagegen. Meistens regnen derlei Blähformeln aus der Wirtschaft auf uns nieder, und niemand wird behaupten wollen, dass der Sprachwandel auf Sprachmüll aus der großkotzigen Wirtschaft nicht verzichten kann, wo man nicht sagt: ‚Ich bin vielseitig‘ oder ‚Ich habe viele Qualifikationen, sondern ‚Ich bin breit aufgestellt.’“

Trotzdem trifft der Hinweis auf Sprachwandel zu. Selbst dumme Sprachmoden lassen sich nicht aufhalten, wie am Beispiel „am Ende des Tages“ zu sehen. Gestern besuchte ich ein Brillengeschäft. Mich bediente eine junge Optikerin. Glücklicherweise war auf ihrem Namensschild nicht genug Platz für „Bin in Optik unterwegs.“ Die Optikerin packte in jeden Satz das Adverb „gerne.“ Vermutlich hat man sie instruiert, das zu tun. Niemand sagt aus eigenem Antrieb dauernd „gerne.“
„Nehmen Sie gerne im Sessel Platz, Herr Blindfisch.“
„Mach ich. Vorausgesetzt, Sie sind breit aufgestellt.“

19 Kommentare zu “Unterwegs

  1. Oh, wie schön, lieber Jules: Du schreibst mir aus der Seele.
    Diese plötzlich auftauchenden sinnfreien Modefloskeln, gegen die man nur mit einem eigenen, wachsamen Immunsystem gefeit ist, verbreiten sich schneller als Gerüchte, haben aber die gleiche Klebekraft bei Personen mit ungeschützem Sprachschatz.
    Spontan fällt mir dazu „ein Stück weit“ oder „nicht wirklich!“ oder dieses „Okääääy..“, das gern etwas langgezogen mit einem Hauch von zweifelndem, in der Höhe ansteigenden Frageton ausgesprochen signalisieren soll, dass man verstanden hat.
    Ach ja, früher hieß es auch bei Handelsvertretern der Textilbranche: „Ich reise in Unterwäsche.“
    Liebe Grüße…!
    Lo

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  2. als einer der in sachen grafik unterwegs ist, frage ich mich gerade ob da auf meinen schlips getreten wird, aber designer sein? das klingt eher designiert – deprimiert. sehr gerne! einen schönen feiertag, adé. bleib schee. da fällt mir, auf dem bösen facebook postete (!) ich einen betrag der da lautete: ich finde anglizismen voll schnarchi. und in der tat, herzlich grüße!

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  3. Ich finde ja, dass zuviel gegendert wird, was dem Umstand Rechnung trägt, dass die Formulierung „in Design unterwegs“ zu sein geschlechtsneutral daherkommt. Dass das Mensch auch sagen könnte, sie wäre Designerin, halte ich deshalb für eine unnötige Diffamierung;)

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  4. Genau. Ich bin da ganz bei dir. Wir leben Sprache. Deshalb fühlen wir uns getriggert, wenn Wordings so slayen, dass sie sogar die Hirne intelligenter und belesener Menschen besetzen. Grüße direkt aus der Floskelkammer, Mahlzeit und natürlich carpe diem😄

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  5. P.S. Floskulär getriggert werde ich derzeit besonders durch irgendeine Straße, die DICHT ist, durch das Wetter mit einem MIX AUS SONNE UND WOLKEN
    (alternativ SONNE SATT), sowie durch einen Lifestyle, der LUXUS PUR oder LEBENSFREUDE PUR ist. Da sach ich nur ERBRECHEN SATT, MIX AUS EINFALLSLOSIGKEIT UND BLÖDHEIT und FLOSKELN PUR. (Etwa um 2000 herum war plötzlich jeder immer VOR ORT, schon seit ewigen Zeiten sind nur die MENSCHEN, DIE MORGENS AUFSTEHEN, gute Menschen, eine Katze ist grundsätzlich eine FELLNASE, und kurioserweise wird in fast allen nach 2010 erschienenen Romanen ein KLEMMBRETT erwähnt, obwohl ein solcher Gegenstand im Alltag eher selten vorkommt 😄😄😄

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