Burtscheider Kursplitter 13 – Kundenvieh

Deutschlandweit steht das Kundenvieh am längsten in Kassenschlangen beim Einzelhandelsriesen Edeka. Edeka hat nämlich so ein stumpfes Aufrufesystem entwickelt oder sich andrehen lassen, bei dem Kunden vor einem Verteilpunkt warten müssen, bis sie zu einer freien Kasse gerufen werden. Der Augenblick der Orientierung und die Schritte vorwärts zur jeweils ausgerufenen Kasse summieren sich zu Sekunden, so dass beim geringsten Kundenaufkommen schon eine lange Warteschlange entsteht.

Ich stehe gedankenversunken in der Warteschlange im Edeka-Markt der Burtscheider Fußgängerzone, höre aus dem Lautsprecher die mir aus Hannover vertraute Stimme rufen: „Nächster Kunde Kasse x bitte!“, da fällt mein Blick auf das Zeitschriftenregal und in mir denkt es: Ach, guck, die haben sogar die Aachener Nachrichten. Überraschung! Du Depp b i s t in Aachen. Etwas verbindet mich mit den Aachener Nachrichten, denn als Schriftsetzer habe ich fünf Stunden dort gearbeitet. Als ich mit meinem Winkelhaken in die Zeitungssetzerei kam, lachten mich die angehenden Kollegen aus. Es gäbe keinen Handsatz mehr, sondern meine Arbeit bestünde darin, Maschinensatz-Zeilen zusammenzustellen. Das ging gegen mein Berufsethos. Nach etwa fünf Stunden stumpfsinniger Arbeit bin ich zum Setzereileiter gegangen, einem Herrn Sturm, und habe gesagt: „Ich kündige wieder. Ich bin Schriftsetzer und kein Zeilenschinder.“
„Wir haben auch eine Akzidenzabteilung, wo noch richtig mit der Hand gesetzt wird“, sagte Herr Sturm. „Da rufe ich mal an und frage, ob die Sie brauchen können.“ So kam es, dass ich gut zwei Jahre eine Etage höher arbeitete, – bis der Fotosatz aufkam und ich mich vertraglich für zwei Jahre verpflichten sollte, weil man mich zum Fotosetzer ausbilden wollte. Da deutete sich schon das Ende meines gut 500 Jahre alten Handwerks an. Wegen Corona gibt es im Speisesaal keine feste Sitzordnung. Jeder Tisch hat eine Plexiglasscheibe zur Abtrennung der sich schräg gegenüber Sitzenden. Diese Regelung hat den Nachteil, dass man überwiegend für sich sitzt. Im Jahr 2016 wurden hier noch feste Plätze zugewiesen. Mit mir am Tisch saß ein Polizist, der schon zwei Jahrzehnte an den Folgen eines Dienstunfalls litt. Seine Geschichte klang nach dümmer als die Polizei erlaubt: Auf einer abschüssigen Straße, die von blühenden Kirschbäumen gesäumt war, verfolgte er einen Einbrecher und hatte ihn gerade gestellt, da wurde er von seinem eigenen Streifenwagen erfasst. Der war wegen der Kirschblütenblätter auf der Straße ins Rutschen geraten und verletzte ihn so schwer, dass er wohl niemals mehr gesunden würde. Schon sechsmal war er deshalb in Reha, bezahlt von der Haftpflichtversicherung des Einbrechers. Ein Richter hatte damals folgendes geurteilt: Es ist nicht strafbar, vor der Polizei zu fliehen. Wohl aber haftet der Fliehende, wenn ein Polizist bei der Verfolgung Schaden erleidet. Gut zu wissen.