Silberfisch und Silberfischchen

Die Aussicht, das Archiv des Instituts besuchen zu dürfen, stimmte mich froh. Ich liebe Ordnungssysteme, sowohl die dazu notwendigen Aufbewahrungsmöbel, die Archivschränke, die Regale, Boxen und Schatullen als auch Karteien und Fundstellenregister. Ich stieg die Treppe hinauf und betrat das Archiv. Ein strenger Archivar mit dem Gesicht einer Maus verlangte eine Legitimation von mir.
„Herr Dr. Spiegel schickt mich“, sagte ich und dachte, das wäre Legitimation genug.
„Da könnt fei jeda kumme“, sagte der Mausartige. „Haben Sie nichts Schriftliches? Keinen Anforderungsschein?“

„Nein, die Order kam fernmündlich von Dr. Spiegel an Herrn Delhey, der mein Vorgesetzter ist. Er schickte mich zu Ihnen hinauf.“
„Ts, ts, Sie kamen also her. Man schickte Sie demgemäß herauf.“
„Aus Ihrer Sicht gewiss, aber aus meiner nicht. Es ist halt alles eine Frage der Perspektive. Ich wurde nach einer Order von ganz oben zu Ihnen hinaufgeschickt, um ein Dokument zu besorgen. Einen Anforderungsschein gab man mir nicht.“
„Das ist mal wieder typisch. Der Herr der fünften Etage setzt sich über alle Verwaltungsvorschriften hinweg.“
„Das tut mir leid. Herr Delhey hat mir lediglich eine Katalognummer auf den Rand einer Zeitung gekritzelt. Wenn Sie diese Notiz als Anforderungsschein akzeptieren mögen?“
„Geben Sie schon her!“, sagte der Archivar ungehalten, beugte sich über den Zettel, rückte seine Brille zurecht, beugte sich nochmals über den Zettel und schnaubte: „Sauklaue! Ist das eine Fünf oder ein S? Eher wohl ein S.“ Er zog eine Schublade aus einem Karteikastenschrank, blätterte darin, zog eine Karteikarte und rief „Ha! Dieses Dokument ist Verschlusssache, darf also nicht ausgeliehen werden. Sie können es einsehen, aber dürfen sich keine Notizen machen.“
„Mir wurde etwas anderes gesagt“, murrte ich, denn ich sah die Verwicklungen voraus, den Tadel, dass ich das Dokument eingesehen hätte, obwohl es mir verboten war. Maus verschwand in einem schmalen Gang, war lange weg und brachte mir ein Schriftstück erstaunlichen Inhalts, das ich aus der Erinnerung wiedergebe. Es ist überschrieben mit:

„Mensch und Silberfisch – Der ewige Kampf
Eine Skizze aus dem Jahr 1972
von Hermann Meier-Bode

Fortsetzung morgen 0:01

8 Kommentare zu “Silberfisch und Silberfischchen

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..