In meinem Kopf geht mal wieder einiges durcheinander. Nichts fügt sich, kein Gedanke will Verantwortung übernehmen. Statt zu sagen, ich gehe hurtig voran, wer will, kann sich ja anschließen, drucksen alle Gedanken herum und warten darauf, dass sich einer erbarmt.
Im Fernsehen sah ich einen Spielfilm über Astrid Lindgrens frühes Leben. Mit 18 etwa tippte sie zum ersten Mal auf einer Schreibmaschine, und der erste Buchstabe, der unter ihrem Tastenanschlag auf dem Papier erschien, war das große V, so im Film. Was ist besonders am V? Es ist ein sogenannter Halbvokal. In der römischen Capitalis konnte V auch den Lautwert U haben. Erst im 18. Jahrhundert wurde im lateinischen Alphabet V und U deutlich unterschieden. V kann also den Lautwert von U oder F annehmen. Der deutsche Maler Louis Corinth pflegte seine Bilder mit dem römischen Halbvokal V = LOVIS zu signieren, woraus die vom Maler angenommene Aussprache Lovis wurde.
Aber darum geht es nicht, es geht um die Faszination Schreibmaschine. Wie ein Typenhebel kraftvoll aufs Farbband schlägt und einen unverrückbaren Abdruck auf dem Papier hinterlässt, diese Faszination ist uns mit der digitalen Schreibmaschine abhanden gekommen. Ich weiß, dass die digitale Schreibweise viele Vorzüge hat. Man erinnere sich, wie mühsam einst die Korrektur war. Es gab diese Tipp-Ex-Blättchen für kleine Korrekturen. Man fuhr den Wagen an die zu korrigierende Stelle zurück, schaltete das Farbband aus und tippte den Fehler nochmals mit dem untergelegten Blättchen Tipp-Ex. Dann konnte man die so geweißte Stelle neu überschreiben.
Nebenbei wäre zu fragen, welche kulturellen Folgen Tipp-Ex-Korrekturen hatten, schließlich musste man einen getippten Fehler quasi bekräftigen, wo fälschlich stand: „der Verstand fehlte noch“, statt “ der Vorstand fehlte noch“, da musste man das e nochmals tippen, bevor das o möglich wurde, wodurch dem Vorstand auf immer der fehlende Verstand aufgeschrieben ward.
Größere Passagen wurden mit flüssigem Tipp-Ex eingepinselt und konnten erst überschrieben werden, wenn die weiße Farbe getrocknet war. Und wie oft war eine Korrektur hoffnungslos. Dann musste die Entscheidung fallen, eine ganze Passage neu zu schreiben und damit die alte zu überkleben. Die spätere Fotokopie egalisierte die Textcollage. Doch manchmal blieb nur das neue Schreiben einer Seite und das, wo ich nach dem polizeibekannten Terroristensystem schreibe: „Jede Sekunde ist mit einem Anschlag zu rechnen.“ Anders in dieser prasselnden Demonstration des Zehnfingerschreibens durch die Berliner Bloggerin Mikage fürs Teppichhaus Trithemius bei Blog.de:
YO!
Was macht die Faszination der mechanischen Schreibmaschine aus? Es ist die Wertigkeit jedes einzelnen Buchstabens. Vor allem: Jede getippte Seite ist ein Original, während ein digitales Dokument nichts ist. Und ist nicht der Wagen der Schreibmaschine mit seinem Wandern, Anschlag für Anschlag auch wie die Lokomotive, die Lore um Lore die Gedankenfolgen aufs Papier zieht?
Noch immer lungern die Gedanken untätig herum. Noch immer wartet eins auf das andere. Drum wars das, liebe Leute. Mehr bringe ich heute nicht hervor. Nachzutragen wäre, dass ich heute zu zweiten Mal Linsensuppe gekocht habe und dass sie beim zweiten Mal besser gelungen ist als zuvor. „Da könnte ich mich reinsetzen“, sagte einst eine Freundin, wenn sie lecker gekocht hatte. In all den sieben Jahren unseres Zusammenseins habe ich den Sinn nicht begriffen, und ich verstehe ihn heute noch nicht. Niemand soll sich erfrechen, sich in meine gute Linsensuppe zu setzen.
Das war ein Wohlfühltext vom Feinsten. Ich könnt mich reinsetzen und darin baden.
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Wieder einmal denke ich, dass ich vom Schreiben noch immer nichts verstehe, weil ich den Text als zu gering ansah. Ihr feines Lob belehrt mich eines Besseren, vielen Dank!
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Gerne doch! Es war mir ein Vergnügen!
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Gelernt habe ich das professionelle Tippen auf einem alten Schlachtross, als Student*innenjob beim Mieterverein bediente ich einen flotten Traber. Der Umstieg auf eine Computertastatur war wie der Wechsel in eine schnelle Karre. Nach Shining ist mir das Schreibmaschinengeräusch auch etwas unheimlich geworden.
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Beneidenswert! Ich habs nie ordentlich gelernt und bin nach dem Schlag im Jahr 2013 unbeholfener als zuvor. An Shining habe ich beim Schreiben gar nicht gedacht, eher an den französischen Spielfilm „Mademoiselle Populaire“, der kürzlich noch auf Arte lief.
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Ein schöner Text 🙂
Ich schrieb noch auf einer mechanischen Reiseschreibmaschine meinen ersten Bericht für ein Praktikum … das war ziemlich mühselig.
So ein Computer ist doch sehr praktisch. Vor ein paar Jahren hab ich mit Hilfe eines Programms das ‚richtige‘ Blindschreiben gelernt – ist wirklich angenehm, wenn man beim Schreiben auf den Bildschirm schauen kann.
Allerdings – wenn ich etwas aufschreibe, bei dem ich langsam denken will; dann mach ich das von Hand. Tippen fühlt sich so ‚drängelig‘ an.
In diesem Sinne – fröhliches Tippen/Schreiben
wünscht Sabine
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Dankeschön fürs Lob. „Blindschreiben“ lernte ich leider nie. Doch dein Hinweis auf das Drängelige des Tippens und das inhärente Lob der Langsamkeit beim Schreiben mit der Hand gefält mir gut. Habe eben noch mit der Hand ein Kärtchen geschrieben. Der Zweck bestimmt das Werkzeug.
Lieben Gruß
Jules
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Ich hab mir das mit dem Blindschreiben schlimmer vorgestellt. Aber mit dem Programm geht das gut.
Das einzige Problem: Man soll das für diese Lerntage unbedingt beibehalten und nicht zwischendrin in alte Schreibweise verfallen, weil es grad eilig ist.
Also hab ich es in eine Roman-Planungsphase gelegt; die mache ich nämlich am Liebsten per Hand.
Hat ungefähr zwei Wochen gedauert, bis ich das einigermaßen im Hirn hatte.
Liebe Grüße
Sabine
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Da ich deine feine Linsensuppe nicht kosten kann, lieber Jules, erfreue ich mich an der Erinnerung an das besondere Geräusch einer klappernden Schreibmaschine. Ich mag es sehr und lernte darauf vor vielen Jahren das Tippen. Eine schon etwas moderner Maschine, aber noch ohne festes Korrekturband.
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Es wäre genug für zwei und schmeckt heute noch besser, liebe Mitzi. Du bist sicher eine versierte Maschinenschreiberin. Danke für den Hinweis auf das Korrekturband. Es machte das Korrigieren schon einfacher.
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Es waren uralte Maschinen aus den dreißiger Jahren, auf denen ich noch in der Volksschule das Schreibmaschine schreiben erlernte. Und diese Geräte haben mich sehr fasziniert! In der Realschule gab es dann schon elektrische Schreibmaschinen – für mich waren das wahre Wunderwerke! Da wurde das Tippen dann fast zur Besessenheit. 😉
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Die Technik war ja in den 1930-er Jahren schon ausgereift. Ich habe noch eine Halda aus der Zeit. Leider ist sie defekt. Von der mechanischen zur Kugelkopf- und elektrischen Schreibmaschine war ja schon ein Riesenfortschritt. Ich teile deine Begeisterung.
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Schreibmaschinen faszinieren mich auch.
Ich habe mir jahrelang mit meiner Oma geschrieben (weil sie zu taub zum telefonieren ist). Ich per PC ausgedruckt und sie per alter Schreibmaschine, für die man kein Farbband mehr bekommt, deswegen mit Löschpapier….
Das Resultat hat sie dann manchmal noch handschriftlich verbessert.
Nachdem sie ins Heim musste, ist die Schreibmaschine jetzt bei mir. Andenken und Antiquität….irgendwann mach ich aus der Kommunikation mal einen Briefroman 🙂
Romantisch sind sie schon. Wenn auch nicht wirklich praktisch…
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Danke für den hübschen Schreibmaschinenbericht, doch wie ging das mit Löschpapier statt Farbband? Meinst du vielleicht Kohlepapier? Eine Schreibmaschine als Andenken und Antiquität ist wert, gepflegt zu werden. Den Briefroman als Faksimile fände ich faszinierend.
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äh….ja….möglicherweise….
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Schönes Bild: Die Lok, die die Gedanken aufs Blatt zieht.
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Danke fürs Lob, lieber Rolf.
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