Der Goldschmied Hannes Gensfleisch rieb sich zufrieden die Hände. Die beiden Verlobungsringe waren gut geworden. In die Innenseite hatte er einen Spruch eingeschlagen. Er hatte dazu neue Punzen machen müssen. Sein Auftraggeber, der junge Fust, hatte einen Spruch in Ogomzeichen verlangt. Der Goldschmied kannte diese heidnischen Runen nicht. Fust hatte ihm ein Vorbild aufzeichnen müssen. Die Runen sollten wohl aus Irland oder den schottischen Landen stammen. Jedenfalls würde der junge Fust zufrieden sein. Die Inschrift zeigt sich scharf und klar im Innern der Ringe. Ein Glück, denn mit diesem hoffärtigen Mann war nicht gut Kirschen essen. Auch sein Vater Johannes Fust war nicht recht geheuer. Der hatte ihm einmal Geld geliehen. Der Geldverleiher sah irgendwie bocksbeinig aus, in seinem schwarzen Kleid, der schwarzen Pumphose und der Kappe, an der eine große Pfauenfeder steckt. Ein Schauer lief dem Gensfleisch über den Rücken.
Sein Blick fiel auf den hölzernen Tisch. Es lag ein Flugblatt darauf, ein gedruckter Holzschnitt. Gensfleisch trieb sich gerne unten am Rheinhafen herum, und dort hatte er das Flugblatt von einem der Händler bekommen, die den wilden Rhein mit ihren Lastkähnen befahren. Seine Heimatstadt Mainz hatte schon seit langer Zeit Stapelrecht. Die Schiffe, die vorbeikamen, mussten anlanden und ihre Ware drei Tage zum Verkauf anbieten. Diese Rheinschiffer waren seltsame Vögel. Sie kamen auf dem Rhein nur langsam voran. Es gab viele Städte mit Stapelrecht. Drum hielten sie sich hier einmal, dort einmal auf, und dabei lernten sie all die fremden Zungen, die man am Rhein entlang sprach. Der ihm das Flugblatt gab, ein Holländer, konnte tatsächlich Mäinzerisch.
Ein schiffbarer Fluss ist schon eine gute Sache, dachte Gensfleisch. Auf ihm fließen die Nachrichten schneller als über Land. Welch ein Glück, dass er dem Holländer das Flugblatt abluchsen konnte. Es war der Dom zu Aken darauf zu sehen, und die in Holz geschnittenen lateinischen Buchstaben gefielen ihm gut. Wie sie auf dem Flugblatt eng und hoch beieinander standen, erinnerten sie an die Bauart der prächtigen Dome. Am Ulmer Münster hatte er die hoch strebenden Pfeiler, die kühnen Spitzbögen bewundert, ja, das war nach seinem Geschmack.
Von der Heiligtumsfahrt zur Pfalzkirche nach Aachen hatte er schon gehört. Es sollten dort alle sieben Jahre, er wusste es nicht genau, Heilige Reliquien gezeigt werden, denen man die Kraft der Erlösung zuschrieb. Es waren an die 150.000 Pilger dort gewesen, erzählte das Flugblatt. Und es müssen gar schrecklich Zustände unter den Pilgern geherrscht haben. Sie lagerten in ihrer großen Zahl auf den Hügeln, die Aachen umgeben. Es sollen auch Weibsen darunter gewesen sein, weshalb die Sitten verderbt waren. Er schnaubte: Ja, ist es denn ein Wunder? Wenn es stimmt, was ihm das Flugblatt erzählte, dann reisten viele Pilger den gefährlichen Weg nach Aachen, weil sie etwas Schreckliches getan hatten. Es waren Mordbuben darunter, solche, die den falschen Eid abgelegt hatten, Wegelagerer, Betrüger und Beutelschneider, Marketenderinnen, Schicksen und anderes übles Volk. Er schaute sich das Bild auf dem Flugblatt an. In einer Ecke hatte er eine halbnackte Dirne entdeckt, die dem Teufel den Bart kraulte. Beim Blick auf die Schamlose regte sich seine Manneskraft. Warum auch nicht? Hatte nicht auch unser Herr Jesus die Dirne Magdalena erhört?
Fortsetzung folgt