Requiem für den Zählerableser

Vor einer Weile hat mich der Energieversorger angeschrieben mit einer Aufforderung: „Bitte lesen Sie Ihre Zähler ab“ Ein Aufforderungssatz schließt gewöhnlich mit einem Ausrufezeichen. Dass er im Brief des Energieversorgers fehlt, soll wohl verbindlicher wirken, weil es eigentlich ein unverschämtes Ansinnen ist, dass ich ohne Bezahlung meine Zeit und Arbeitskraft aufbringen soll, um festzustellen, wieviel Energie man mir geliefert hat. Als ich hier anfänglich wohnte, ist noch ein Ableser vorbeigekommen, um die Zählerstände zu notieren. Sicher gibt es bessere Berufe als Zählerstandsableser. Doch um bei mir den Gaszähler abzulesen, muss man sich verbiegen können.

Ich erinnere mich schwach, dass er klaglos in die enge Lücke zwischen Kühlschrank und Spüle gekrochen ist, um schnaufend zwar, den Zählerstand zu notieren. Seine Leistung weiß ich erst richtig zu würdigen, nachdem mich Enercity gezwungen hat, selbst unter die Spüle zu kriechen. Jetzt glaube ich, dass Zählerableser ein ehrsamer Beruf gewesen ist. Er kam mit Kunden in Kontakt und konnte beraten, trat in ihre Lebenswirklichkeit ein, konnte als Regulativ wirken, war also durch und durch ein sozialer Mensch. Dazu benötigte er psychologisches Gespür und – nicht zu vergessen – für Gaszähler wie meinen eine mehrjährige Ausbildung zum Schlangenmensch.
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