Laberterroristen besetzen den öffentlichen Raum

Dass erste Erfahrungen prägend sein können für das ganze Leben, wissen wir spätestens nach Konrad Lorenz und seinen auf ihn fixierten Graugänsen. Ähnlich prägend sind meine frühen Erfahrung mit Mobilfunk.
Es war an einem Sommertag in den 1990-er Jahren. Ein Aachener Modegeschäft hatte die Fensterfront zur Straße hin geöffnet und Drehständer mit Hemden nach draußen geschoben. Ein junger Mann stand überdrüssig bei einem Ständer und drehte ihn, um ab und zu ein Hemd auf einem Bügel hervorzuziehen. Dabei hatte er ein Handy am Ohr. Er belferte hinein:
„Was weiß denn ich, was ich für ne scheiß Kragenweite hab!“

Indem ich das aufschreibe, kann ich fast nicht mehr nachvollziehen, wie mich der junge Mann verblüfft hat darin, ein Telefongespräch über eine private Angelegenheit so laut und ungehemmt in aller Öffentlichkeit zu führen. Es war mir so fremd und fern, dass sich mir diese banale Beobachtung einprägte.

Jahre später, inzwischen hatte ich mir wegen einer komplizierten außerehelichen Beziehung ebenfalls ein Handy angeschafft, auf dem sie mir, wenn Telefonieren nicht möglich war, Klingelsignale sendete. Ich wurde abhängig von diesen Klingelsignalen, und noch schlimmer, von ihrem gelegentlichen Ausbleiben völlig närrisch. Einmal musste ich einen Handyladen aufsuchen. Da stand vor mir ein junger Mann, zeigte dem Verkäufer sein Handy und sagte: „Das kackt immer ab.“
Der Verkäufer war kurz abgelenkt gewesen und fragte geistesabwesend zurück:
„Es kackt ab – und was noch?“
Was noch?! Welche unerfreulichen Äußerungen gehören denn noch zum Repertoire eines Handys? Furzen? Rülpsen? Stinken? Seine Scheißkragenweite quaken?

Seit dieser Erfahrungen, seit der Fäkalsprache, die so selbstverständlich dazu gehört, seit meiner närrischen Verhaltensweisen gehören Mobilfunkgeräte für mich zur Prollkultur. Da besonders Frauen ihr Smartphone als Kommunikationsmittel schätzen, komme ich nicht umhin, eines zu besitzen. Es war über Jahre quasi unerlässlich, wenn ich eine Beziehung haben wollte. Der Apparat ist nützlich, zweifellos, aber für mich kein Plaudermittel, sondern ein Nachrichtengerät, wichtigen Informationen vorbehalten. Trotzdem dachte und hoffte ich, die Handy-Plage werde sich totlaufen, wenn mans nur ordentlich ironisiert:

JvdL 1990-er Jahre in Titanic


Von wegen! Ruhebereich im ICE, „Ruhebereich!“ rundum durch Schrift- und Bildtafeln ausgewiesen. Oma auf der Rückreise vom Besuch der Enkelin muss trotzdem telefonieren, fragt lüstern: „Hat Sofia noch sehr geweint, weil ich gefahren bin?“ Ja! Gib deinem Affen Zucker, Oma! Die eigene Eitelkeit zu befriedigen ist natürlich wichtig genug, im Ruhebereich zu telefonieren. Das arme Kind hat vermutlich schreiend am Boden gelegen mit ‚Oma,Oma!, warum hast du mich verlassen?‘ Man hat die Ambulanz rufen müssen. Ach nein? Das gute Kind hat sich bald darein gefunden? Schade. Hätte doch wenigsten ein paar Stunden heulen können, damit sich so ein Anruf auch lohnt.

Gelegentlich ist die Rede vom Verlust des Privaten. Leider ist es andersherum, ein um sich greifender Laberterror, die Okkupation des öffentlichen Raums durch das private Banalitäten. Derlei Verhaltensauffälligkeiten sind nicht vom Himmel gefallen. Angeheizt haben das die Mobilfunkbetreiber mit Telefon-Flatrat-Aktionen wie „Endlos Telefonieren“ und „Quatsch dich leer!“ Das war im Jahr 2007.
Eintrag Oktober 2007 im Teppichhaus Trithemius:
„Schön zu wissen, dass Frauen unter 26 nicht etwa hohl, sondern platt wie Flunder sind, was glücklicherweise keine Anorexia nervosa im Endstadium ist, sondern lediglich ein Effekt der von T-Mobile propagierten Flat-Logorrhoe. Wer möchte da nicht am anderen Ende der Leitung sitzen und sich fett und vollquatschen lassen, derweil eine grinsende Brünette leer läuft wie ein angestochenes Fass.“

Der Hirnriss erfasst natürlich auch Männer. Ein junger Migrantensohn, sonntäglich gestylt, nimmt im Bus hinter mir Platz und brudert los.
„Bruder, ich sag dir, Bruder, das ist megahart, Bruder. BruderBruderBruder und so fort. Siehst du mich, Bruder? Ich sitze hinten im Bus, Bruder. Der ist gleich da, Bruder.“ Inzwischen beobachte ich zwanghaftes Verhalten. Telefoniert im Bus ein Depp, tuns noch zwei, drei andere Deppen, nur um akustisch ihr Revier zu markieren, wie der Hund ab und zu sein Bein hebt. Es ist ein Elend. In Bus und Bahn ringsum Leute, die ihr Wasser nicht halten können.

14 Kommentare zu “Laberterroristen besetzen den öffentlichen Raum

  1. Gut beobachtet, gut bebildert, gut geschrieben. Schade gerade jetzt wo das Gemeinsame so wichtig wäre ist Anstand und Respekt so überwuchert von Geltungsdrang, Angst und Machtmissbrauch.
    Unwillkürlich kam mir grad während der Lektüre der Satz von Michel Serres:

    „Das Erwartbare schafft die Anästhesie.“

    Die ganzen Programme und Geräte Innen und Außen stören die Wachheit für die begegnende Zukunft. Scheinbar ist in dieser Welt, wo zu viel passieren kann, weil schon zu viel passiert ist, die Technik die nötige Betäubung. Die Technik sagt man, ist ein guter Diener und ein schlechter Herr. Von dem her gesehen, sollte ich wohl lieber die Machtverhältnisse und Außenwahrnehmungen meiner öffentlichen Aktionen besser verstehen lernen; bevor ich das Beinchen hebe vor jemandem der mich danach ganz fein und paragraphengrammtisch mit Scheiße überzieht. Nun ja, die Wahrscheinlichkeit auf Begegnungen im ÖPNV wächst zumindest 🙂

    Da auch mal was über Heterotopien geschrieben hast:
    Leseempfehlung zum Thema Handy: Giorgio Agamben: Was ist ein Dispositiv?

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    • “ Die Technik sagt man, ist ein guter Diener und ein schlechter Herr“ gefällt mir gut. Ein Herr, zu dessen Sklaven bereits viele geworden sind. Besonders Kinder und Jugendlich haben dem wenig entgegenzusetzen. Danke für die Leseempfehlung.

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  2. wenn jemand laut telefoniert bitte ich darum, einen gruß von mir zu bestellen, wenn es sich ergibt. ich leiste es mir, nicht immer erreichbar zu sein, man kann unser festnetztelefon anrufen, dann rufe ich zurück. mein handy ist nur für mich, um kurze infos zu erhalten oder zu geben, wenn ich allein unterwegs bin(ohne flatrate). wozu bin ich rentnerin, wenn nicht für diese freiheit?

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