Über Unfreundlichkeit

Grobiane gibt es überall, Choleriker, worin das Wort Kleriker sich verbirgt, und Wüteriche, auch wenn sie gar nicht Erich heißen. Unser Pastor beispielsweise war so ein Choleriker. Er unterwies uns in Religionslehre. Wenn es ihm in der Klasse zu laut wurde, geriet er in Wut, riss den Deckel des Eichenpults hoch und donnerte ihn wieder zu. Das Pult stand auf einem Podest, das man als Schüler nur betrat wie die heiligen Stufen des Altarraums. Irgendwann bekam die Schule neue Möbel, auch ein Pult mit Schubladen, aber ohne Tischklappe. Dem Pastor schien das nicht aufgefallen zu sein, denn als er mal wieder in Rage geriet, den Deckel des Pults anheben wollte, wandte er soviel Kraft auf, die vermeintlich widerspenstige Klappe zu bezwingen, da warf er das unschuldige Pult vom Podest herab in den Klassenraum. Damals schon war mir die katholische Religion unheimlich, denn wie konnte ein liebender Gott so wüste irdische Vertreter haben.

Entschuldigung, dieser Text soll von der Unfreundlichkeit handeln. Leider hat mich schon die müßige Sprachspielerei im ersten Satz aus der Kurve getragen. Genauer, es geht um die Unfreundlichkeit einer Verkäuferin der Bäckerei in meiner Nachbarschaft. Nachdem ich seit Anfang Juni nicht zu Hause war, zuletzt gar fünf Wochen in Aachen verbrachte, wo die Bäckereikultur auf ihrem Zenit ist, muss ich mich in vielen Dingen erst wieder erinnern, auch daran, dass ich in der Nachbarsbäckerei grundlos unfreundlich behandelt werde.

Ich betrat die Bäckerei, grüßte freundlich und wünschte zerstreut „ein Laugenbrötchen.“
„Laugenbrötchen habe ich nicht.“
„Was ist das denn?“, fragte ich und zeigte auf ein Auslagenfach, wo derlei Backwaren lagen.
„Laugenecken.“
„Dann nehme ich eine Laugenecke.“
Ich verstand spontan, warum die Schaufenster mit Plakaten zuklebt sind, auf denen freundliche VerkäuferInnen gesucht werden, doch ich hätte kein Verständnis zeigen und fragen sollen: „Warum so unfreundlich? Sie hätten bei sich Brötchen in Ecke übersetzen können, was natürlich eine gewisse Intelligenz erfordert hätte, die Fähigkeit nämlich des Transfers. Bei intellektueller Überforderung hätten Sie immerhin zurückfragen können: ‚Meinen Sie eine Laugenecke?‘ Beides war Ihnen nicht möglich, weil Sie unzufrieden mit sich, Ihrem Brotherrn und der Welt sind. Aber warum Sie das mich spüren lassen, der durch seinen Einkauf dazu beiträgt, dass Ihnen ein Lohn gezahlt werden kann, ist damit nicht erklärt.“

Doch so roh wie sie mir erschien, ist sie nicht. Heute Morgen ging ich hin, um ein weiteres Beispiel ihrer Unfreundlichkeit zu sammeln. Als hätte sie es geahnt, bediente sie mich mit freundlichen Worten, die zwar nach Papageienart ihren Mund verließen, aber als sie sich abwandte, um in die Küche zu gehen, quetschte sie sich tatsächlich „Noch einen schönen Tag“ aus dem Schnabel, was hiermit ebenfalls vermeldet wird, um der Wahrheit die Ehre zu geben.

5 Kommentare zu “Über Unfreundlichkeit

  1. bei lehrern fällt mir der chemielehrer herr st. ein, der nach der provokanten frage „schiele ich?“, die nicht so ganz ernst gemeint gewesen sein kann, denn das tat er wirklich (und wie!), gerne mal mit seinem schlüsselbund warf. meine tochter – zwanzig jahre später – berichtete von seinem ungebremsten temperament.
    ansonsten, der grobiane werden immer mehr. sohni schickte mir heute früh einen zeitungsausschnitt, demzufolge die fälle von morddrohungen („disch mach ich fertisch wie in idar-oberstein!“) gegen fahrbegleiter, die ja nur von berufs wegen auf die maskenpflicht hinweisen, sich häufen. das geht auch schon mal bis zu drohzetteln an den privatfahrzeugen oder der freundlichen mitteilung: „isch weiss, wo du wohnst!“.
    bei der normalen unfreundlichkeit unterscheide ich schon ganz gern zwischen stadt und land. hier in der provinz kann man es sich nicht leisten, kunden zu vergrätzen. sie nehmen im zweifelsfall gerne ihre familie und den ganzen bekanntenkreis mit, wenn sie gehen. und wer das nicht von vornherein weiß, muss es lernen. wie die damen, die sich in der von einer kette übernommenen fleischerei ausbreiteten und es an freundlichkeit und beflissenheit mangeln ließen. bei denen ist das corona-schild an der tür „bitte nicht mehr vier als personen eintreten“ längst überflüssig.

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