Jüngling der Schwarzen Kunst – Wachsen wollen

Die Sekretärin kam in die Gasse und übergab dem Jüngling das Speisekarten-Manuskript. Er machte sich an die Arbeit. Den Kasten der 10 Punkt Bodoni mager hatte er schon vor sich, den Winkelhaken auf 16 Cicero Breite eingestellt. Kaum hat er angefangen zu setzen, fluchte er: „O Mann, wenn die schon überall Majonäse drauf kletschen müssen, könnten die sich wenigstens auf eine einheitliche Schreibweise einigen. Der eine Koch schreibt Mayonnaise mit Ypsilon und „ai“, der andere mit Majonäse „j“ und „ä“, mal mit einem „n“, mal mit zwei. Hier! Unterschiedlich in einem Manuskript!“

„Guck in den Duden und leg‘ eine Schreibweise fest“, sagte Monitz.

„Dazu habe ich jetzt keine Zeit, ich muss noch die Setzerei fegen. Ich setze es so, wie es da steht“, sagte Hannes bockig.
*

In seinem Traum war alles aus Holz. Die Dinge ringsum waren aus Holz, aber auch die gesamte Kommunikation war Holz. Er selbst war auch aus Holz. Seine Gedanken waren Holz, wie aus verschieden großen Plakatschriften typografisch zusammengestellt. Durch seinen Holzkopf zogen Wörter aus dem Sachbereich Holz. Selbst die Wörter waren aus Holz. Holzhammer, Holzwurm, Holzstapel, Holzklotz, Holz vor der Hütten, Holztisch, Holzhaus, Holzverkleidung, Holzweg, Matthias Holz, das hölzerne Bengele. Hannes erwachte.

Gegen Matthias Holz, genannt Holz Mattes, hegte Hannes einen Groll. Mattes war sein Großcousin, ihre Großväter waren Brüder. Mattes war einige Jahre älter als er, so dass sie nur wenig miteinander zu tun hatten. Bei den seltenen Kontakten hatte er sich als unsympathischer Großsprecher erwiesen. Eine Weile fuhr er wie Hannes mit dem Bus nach Neuss, wo er die Oberprima des Gymnasiums besuchte.

Auf dem Weg zum Busbahnhof kam Hannes an einem Buchladen vorbei, und weil er noch Zeit hatte und die Frühlingssonne schien, stöberte er in der Remittendenkiste vor dem Laden. Ein Taschenbuch interessierte ihn, und weil es nur 50 Pfennig kosten sollte, kaufte er :
Max Horkheimer; „Anfänge der bürgerlichen Geschichtsphilosophie. Hegel. Montaigne und die Funktion der Skepsis.“

Am nächsten Morgen erwischte ihn Holz Mattes damit im Bus. Er lachte ihn aus und rief: “Was willst du denn damit? Das verstehst du doch überhaupt nicht!“ Hannes schämte sich, weil Mattes so laut gerufen hatte, dass es alle Umsitzenden mitbekommen konnten. Er fühlte sich kleingemacht. Das Schlimmste für ihn war, Mattes hatte Recht. Tatsächlich verstand er kaum etwas. Das Buch war zwar auf Deutsch geschrieben, aber die meisten Fremdwörter kannte Hannes nicht. Die Sätze musste er mal und mal lesen, und hatte am Ende immer noch nicht verstanden, was sie bedeuteten. Doch Hannes wollte nicht aufgeben. Er wollte sich bilden und hasste Mattes dafür, dass er ihn verbal zurück in seine Arbeiterexistenz stampfte.

4 Kommentare zu “Jüngling der Schwarzen Kunst – Wachsen wollen

  1. O Mann, Hannes, ja, Deinen Bildungshunger gegen Arroganz, Spott und Holzeimer (Horkheimer) aufrechtzuerhalten und Majonäse x mal durchzubuchstabieren – das ist wahrlich ein seelischer Spagat. Aber du gibst nicht auf, nicht wahr?

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    • Wie du sicher weißt, ist der Entwicklungsroman autobiographisch. Aufgeben war nicht meine Sache, und es gelang mir trotz aller Widerstände, Gesellenprüfung, Studium und später Studienrat am Gymnasium zu sein, ohne selbst das Gymnasium besucht zu haben.
      Da erwies sich Abraham Lincolns Ausspruch als zutreffend:, „Die Druckerei ist die Universität des einfachen Mannes“

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  2. Der Aufstieg ins Bildungsbürgertum ist hart, das hast du gut auf den Punkt gebracht. Ähnlichen Hohn musste ich mir von Kommilitonen anhören, als ich ein freiwilliges Kant-Seminar belegt hatte, und statt eines Referates nur eine Zusammenfassung der ersten beiden Seiten der „Kritik“ vorlegen konnte. Dabei war ich so stolz, dass ich die überhaupt verstanden hatte.

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    • Leider wird einem in Deutschland dieser Aufstieg nicht leicht gemacht. Ich weiß nicht genau, was auf den ersten beiden Seiten der „Kritik“ steht. Ein Abstract davon ist immerhin eine eigenständige Leistung. Die Kommilitonen wussten offenbar noch nicht, dass Arroganz die schlimmste Sünde wider die Intelligenz ist.

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