Jüngling der Schwarzen Kunst – Leutebetrug

Hannes war gerade in der Metteursgasse angekommen, da betrat ein Mann im rostroten Overall die Setzerei und rief mit erhobener Stimme: „Ich suche Herrn Siegfried Hof!“
„Wilhelm, ich bin hier!“, rief Hof, reckte den Arm und wedelte mit der Hand.
Der Mann rief: „Ah!“, zeigte auf Hof, eilte mit ausgestreckter Hand durch die Mittelgasse, vorbei an den staunenden Setzern in Hofs Gasse und schüttelte ihm überschwänglich die Hand. „Hier wirkst du also, alter Knabe! Gut, dass ich dich antreffe.“
Er zog mit großer Geste ein flaches Päckchen aus seinem Overall und verkündete: „Hier ist das Faksimile meiner Unterschrift, frisch aus der Klischeeanstalt! Hat mich ein Schweinegeld gekostet. Das Klischee druckt ihr in Tintenblau unter den Serienbrief. Tintenblau, hörst du?“
„Schon klar, besprich die Farbe am besten nochmal mit den Druckern“, sagte Hof.
„Bist du mein Gewährsmann oder bist du mein Gewährsmann, Siegfried?“
„Aber ich bin Setzer, kein Drucker, Wilhelm.“
„Ist für mich eins. Für deine Provision kann ich doch eine ordentliche Drucküberwachung erwarten?“
„Natürlich.“
„Dann sind wir uns einig. Ich muss los. Im Atelier warten wunderschöne Mädels auf mich.“
„Ich bringe dich noch zu Tür“, sagte Hof.
Als er zurückgekommen war, sagte er: „An die Arbeit! Herr Wienen wartet auf die Briefe. Siegfried Hof zog einen großen gut gefüllten Setzkasten aus dem Regal und wuchtete ihn auf einen der fahrbaren Setztische. „Das ist Schreibmaschinenschrift“, erklärte er. „Guck dir die Lettern an! Wie du siehst, sind alle gleich breit, genau wie bei der Schreibmaschine. Auch der Wortzwischenraum ist so breit wie eine Letter. Damit kannst du Texte setzen und drucken, dass sie aussehen wie mit der Maschine getippt. Du darfst die Schreibmaschinenschrift nie auf Blocksatz setzen. Zu ihr passt nur linksbündiger Flattersatz. Dann darfst du auch den Wortabstand niemals verringern. Das würde die Illusion zerstören.“
„ Und was setzen wir damit?“
„Ich setze den Geschäftsbrief von Herrn Wienen, du setzt die Namen seiner Adressaten.“
„Wozu?“
„Sie werden Brief für Brief gedruckt und ausgetauscht. Herr Wienen hat von der Post eine Adressenliste mit Leuten der Kaufkraftgruppe 1 gekauft. Das sind Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten, Geschäftsleute. Denen schickt Herr Wienen einen persönlichen Brief. Hier das Manuskript:

    „Sehr geehrter Herr NN! Aus Ihrem Freundeskreis erhielten wir einen Hinweis auf ihr Kunstinteresse. Deshalb gestatten wir uns, Ihnen folgendes Angebot zu unterbreiten …“

„Wer ist denn Herr NN?“
„Lateinisch nomen nominandum, der zu nennende Name, du Trollo! Genau die 300 Namen, die du für mich setzen wirst. Wickle mal das Klischee aus und klebe es auf einen hohen Steg!“
Das flache Metallplättchen, eine mattglänzende Strichätzung, zeigte in großspurigen Schwüngen den erhabenen Schriftzug „Wilhelm W. Wienen.“
Hannes entzifferte die Spiegelschrift. „Wofür steht das W?“, fragte er.
„Winfried.“
„Wilhelm Winfried Wienen? Hört sich seltsam an.“
„Die Eltern hatten Sinn für Alliteration.“
„Alliteration?“
„Wenn sich etwas im Anlaut reimt. Du weißt ja wohl gar nichts.“
„Ist er auch ein N…“ Hannes biss sich auf die Zunge „… Nachbar von Ihnen?“
„Wieso Nachbar? Nein, wir kennen uns aus dem Golfclub.“
„Und unter den Text in Schreibmaschinenschrift wird das Klischee in Tintenblau gedruckt, dass es aussieht wie persönlich unterschrieben?“
„Du hast es erfasst.“
„Für mich ist das Leutebetrug, genau wie die Sache mit dem Freundeskreis und dem Hinweis auf das Kunstinteresse.“
„Was verstehst du schon? Die Welt will betrogen werden. Personenbezogene Werbung ist eine moderne Werbestrategie. Die hat Wienen in den USA kennengelernt. Wilhelm W. Wienen ist ein Starfotograf. Seine farbig verfremdeten Mädchenakte sind Kunst. Was hindert ihn, sie zu verkaufen? Die Fotomodelle wollen auch ihr Honorar.“

„Ach, die großen Bilder habe ich unten in der Makulaturkiste bei der Vierfarben-Offset gesehen. Aber im Brief steht, die Drucke wären Lithographien. Offsetdruck ist keine Lithographie. Lithographie ist Steindruck. In der Berufsschule haben wir eine Lithopresse und vom Stein gedruckt.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass du so ein Klugscheißer bist. Offset oder Litho, den Unterschied sieht sowieso keiner. “
Hannes dachte nach. Bislang hatte er ganz unbefangen davon geträumt, einmal Grafiker zu werden und in einer Werbeagentur zu arbeiten. Doch wenn es nur darum ging, Leute zu betrügen? Klar, dass der Neandertaler Wienens Betrug deckte. Er verdiente schließlich mit daran, wenn Leute übers Ohr gehauen wurden. Wenn er bei solchen Gaunereien mitmachte, dann wird auch stimmen, was im Pausenraum getuschelt wurde, woher der Neandertaler die Stangen Zigaretten bekommt, die man billig bei ihm kaufen kann. Ein enger Freund habe eine Firma für Gebäudereinigung und einen Wartungsvertrag mit dem Düsseldorfer Flughafen. Derweil seine Leute die Flugzeuge reinigten, würden sie geschmuggelte Zigaretten ausladen und am Zoll vorbei rausbringen. Wenn stimmt, dass er mit Schmuggelware dealt, wäre das Rätsel gelöst, wie Hof seinen 190-er SL finanziert.

Hannes machte sich daran, die Namen zukünftiger Betrugsopfer zu setzen. Noch auf dem Nachhauseweg im Bus quälte er sich mit der Frage, ob er sich mitschuldig machen würde.
„Nein“, sagte Erika am nächsten Morgen im Bus. „Du bist nicht verantwortlich für das, was bei euch gedruckt wird. Auch wenn es dir nicht passt.“
„Aber wenn bei uns eine Nazizeitschrift gedruckt würde, und ich soll die Überschriften setzen?“
„Dann könntest du dich weigern und sagen, dass es gegen deine Moral verstößt. Aber im Fall von Wienen kannst du das nicht. Es wäre Arbeitsverweigerung.“
„Aber ich könnte den Betrüger reinlegen. Ich habe schon eine Idee. Dann sieht der Neandertaler mal, wie das ist.“
„Sei bloß vorsichtig!“, sagte Erika besorgt.

6 Kommentare zu “Jüngling der Schwarzen Kunst – Leutebetrug

  1. In Spanien gibt es ein Sprichwort: Ladrar un ladron, cien anos pardon, Einen Dieb bestehlen, hundert Jahre Vergebung. Die Moral des gesunden Menschenverstandes. Jedenfalls wird es jetzt offenbar richtig spannend.

    P.S. Bei Kunstbetrügern neige ich zur Nachsicht. Ein Fünkchen Betrug liegt bereits im Wesen jedes Handels mit Kunst.

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