Einmal wurde mir für eine Untersuchung Blut abgezapft. In der Praxis bat man mich, die Reagenzgläser beim Hinausgehen mitzunehmen und ins Labor auf der gleichen Etage zu bringen. Ich trug arglos mein Blut hin. Draußen wurde mir speiübel. Ich überquerte die Straße und strebte einer Sitzbank zu. Doch dann spürte ich, dass ich sie nicht mehr erreichen würde und fragte eine Passantin: „Können Sie mir helfen, mir wird schlecht?“ In diesem Augenblick erhob sich der Bürgersteig und klatschte mir ins Gesicht. Ich spürte keinen Schmerz. Alle Sinne waren in Ohnmacht gefallen, der Sinn des Sehens zuletzt. Als ich erwachte, hörte ich eine Männerstimme: „Ruhisch, janz ruhisch, jlich kütt Hilfe!“
Ich bin doch ruhig, dachte ich, hob den Kopf und sah auf der anderen Straßenseite einen Arzt im weißen Kittel. Bei ihm war die Frau von eben. Die beiden warteten auf eine Lücke im Verkehr und eilten auf mich zu. Der Arzt beugte sich zu mir herab und fragte, was passiert sei. Ich erklärte, dass ich mein Blut spazieren getragen hätte und mir davon schlecht geworden sei. Man half mir auf, und ich bedankte mich für die Hilfe. Die Frau hatte übrigens den Nächstbesten geholt. Es war ein Frauenarzt.
Gestern habe ich erneut den Boden geküsst, ohne zu wissen, wie ich hingekommen war. Dass er sich gegen mich erhoben hätte wie damals der Bürgersteig, will ich nicht behaupten, denn es war finstre Nacht, als es geschah. Alles hatte ganz romantisch an einem Feuer im Garten begonnen, wozu uns zwei junge Leute eingeladen hatten. Sie grillten etwas und rösteten Kartoffeln in der Glut. Meine Lebenspartnerin und ich saßen in Decken gehüllt auf einer Bank, denn es war eine herbstlich kalte Nacht. Ich trank reichlich Pinot Grigio. Den hätte ich nur so in mich hineingeschüttet, sagte sie später. Aber ich hatte keine Bedenken, denn einst hatte mein lebenskluger Freund Herr Leisetöne zu mir gesagt: „Mit Pinot Grigio machst du nichts falsch.“
Aber zuviel davon macht mir nächtliche Wadenkrämpfe. So auch in dieser Nacht. Ich setzte mich auf und stellte den Fuß auf den Boden, damit der Krampf sich löste. Kurz darauf küsste ich den Dielenboden, sehr zu meinem Erstaunen und zum Schrecken meiner Partnerin. Die Blessuren halten sich glücklicherweise in Grenzen, und ich habe beschlossen, auch beim Alkohol engere Grenzen zu ziehen. Von Mahnschreiben und erhobenen Zeigefingern bitte ich abzusehen.
Aber die Mahnung, dass man kein Blut durch die Gegend tragen soll und schon gar nicht das eigene muss ich schon aussprechen 😉 🙂
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Geschickt! Ja, daran halte ich mich seit längerem. Auch setzte ich mich nach der Blutentnahme erst mal hin.
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Der begrenzte Genuss ist der wahre Genuss (Ingo Insterburg)
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Wusste gar nicht, dass Insterburg so kluge Sachen gesagt hat.
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Danke für Deinen gar nicht so blutleeren Beitrag. Er soll uns allen eine Mahnung sein, auf Warnsignale des Körpers zu achten.
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Als Zivi hab ich mal ein (in Zellstoff eingewickeltes, frisch amputiertes) Frauenbein über den Krankenhausflur getragen, Richtung Krematorium. Es war noch warm. Und mir mulmig. Dass mich der Boden nicht zu sich runtergeholt hat, verdankte ich nur meinem jugendlichen Alter. So 20 rum.
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Grauenhaft. Danke für den Kurzbericht.
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