Was typisch für die Flamen sei, versuchte ein holländischer Kabarettist in Flandern herauszufinden und sprach darüber mit einer Moderatorin von Studio Brussel, einem öffentlich-rechtlichen Musiksender. Typisch sei, dass Flamen zu Hause in Unterhose umherlaufen, sagte sie. Man komme nach Hause und entledige sich zuerst der Hose. Daran wurde ich erinnert, als mir gestern eine liebe Freundin unten zu sehende Karte mit einem finnischen Verb schenkte, wobei das keine Anspielung auf meine Gewohnheiten war. Was skurril ist an meinen Gewohnheiten, dafür haben noch nicht mal die Finnen ein Verb.
Die Karte stammt aus dem Museums-Shop des Hannoveraner Landesmuseums. Wir hatten uns dort eine Multimedia-Show über Leonardo da Vinci angesehen und waren überwältigt. Kalsarikännit wäre durchaus angebracht gewesen. Ich habe mir verkniffen, im Museum zu fragen, wer die Show verbrochen hatte, eine Leihgabe aus Mailand übrigens. Den Menschen will ich lieber nicht kennen, obwohl es gewiss große Kunst ist, das umfangreiche Werk eines Universalgenies hinter eigenen Ambitionen verschwinden zu lassen. Mir schwirrte der Kopf vor lauter visuellem und akustischem Bombast, immer hart an der Grenze zum Kitsch, für den die Hannoversche Allgemeine (HAZ) die freundlichen Worte fand: „Die Inszenierung ist ein synästhetisches Gesamtkunstwerk. Kraft ihrer multimedialen Wucht überwältigt sie die Besucher – und zeigt in ihrer futuristischen Ästhetik wie zeitlos sich der Genius Leonardos ausnimmt.“ Mir raubte es den Atem, was aber an der geforderten Mund-Nasen-Bedeckung (Maske) lag. Die multimediale Show wurde sicher ins Museum verlegt, weil die Rummelplätze noch geschlossen sind.
Was bedeutet „futuristische Ästhetik?“ Die Begrifflichkeit überhöht die Sache, oder sollte die Gemeinsamkeit mit dem Futurismus darin bestehen, dass die multimediale Da-Vinci-Show von einem Italiener geschaffen wurde? Profan ausgedrückt: Hier hat sich einer selbst verwirklicht und war schlicht besoffen von seinem Werk, wobei nicht klar ist, ob er bei der Planung der Show wenigstens eine Unterhose getragen hat.
Dieser da Vinci, dessen Name offenbar auf eine Pizzerienkette zurückgeht, denn wer hätte noch nicht in einer Pizzeria da Vinci gegessen, muss dem norddeutschen Publikum vermutlich endlich näher gebracht werden. Dazu sind Gemälde völlig ungeeignet, weil sie dem Stand der Technik überhaupt nicht entsprechen und nicht mal mehr Leonardo begeistern könnten. Futurismus in Unterhosen klingt da nach einem vielversprechenden Ansatz.
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Du hast die Rezeptionsgewohnheiten der Niedersachsen wie mir scheint schlüssig benannt. Die Pizzakette ist mir zwar nicht bekannt, sie würde aber zur Show passen, wie es in Hannover einen „Goethe-Döner“ gibt. Wie schrieb schon Marinetti im Manifest des Futurismus: „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören und gegen den Moralismus, den Feminismus und gegen jede Feigheit kämpfen, die auf Zweckmäßigkeit und Eigennutz beruht.“ Kirmes, Pizzarien und Döner in die verstaubten Museen!
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Also, ich muss zugeben, Trithemius, dieses Mal ist Ihr Blogeintrag frei von Ihren bisweilen üblichen Übertreibungen und Zuspitzungen.
Ich habe die Ausstellung auch gesehen und war, gelinde gesagt, entsetzt über diesen multimedialen Kitsch.
Aber bitte verzweifeln Sie nicht, sondern schauen Sie sich einfach mal die Fotos auf der Homepage des Museo Leonardo da Vinci in Rom an. Dort finden Sie z. B. Leonardos genial einfache Holzbrückenkonstruktion oder seine Wasserski.. Oder seinen Taucheranzug. Ein Tausendsassa, dieser Mann!
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Puh! Noch mal gut gegangen. Und ich fürchtete schon, zu sehr auf den Putz gehauen zu haben. Da habe ich gleich die Rubrik geändert. Was vorher unter „Feuilleton“ stand, ist jetzt da verortet, wo es hingehört, nämlich beim „Zirkus des schlechten Geschmacks.“
Gern würde ich mich ganz schlicht in eine Leonardo-(Konstruktions)zeichnung versenken. Mir muss man dazu nicht die Augen wirr machen und die Ohren vollblasen.
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Apropos „mündiger Bürger“ – gerade habe ich ein sehr lesenswertes Büchlein von Ulrike Guerot „Begräbnis der Aufklärung?“ (Oktober 2019) in die Hände bekommen und finde den (zugegebenermaßen etwas aus dem Zusammenhang gerissenen), aber wie ich finde, passenden Abschnitt:
„… Im digitalen Universum gibt es keine Wahrheit mehr; keine letzte Wahrheit mehr, wie vor der Aufklärung, keine unmittelbare Wahrheit mehr wie in den Zeiten der Aufklärung, in denen um diese Wahrheit politisch gerungen wurde. Wo jeder alles wissen kann, aber niemand mehr die Wahrheit hat – bzw. seine eigene nicht mehr geltend machen kann – ist Wissen keine Macht mehr. Letztendlich bedeutet dies das Ende der Politik, wie es sich bereits abzeichnet, weil trotz allen Wissens keine Entscheidungen mehr getroffen werden können, die sich in den letzten Wahrheiten begründen… Wissen (ohne vernunftbegabtes Denken) droht ankerlos zu werden.“
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Danke für den Kommentar. Der passt mir grad gut, denn just zu diesem Thema habe ich gerade einen Text in Arbeit. Er wird wohl noch eine Weile reifen müssen.
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Kalsarikännit… schon nüchtern ist das Wort kaum auszusprechen. Aber besoffen und in Unterhose… eine beachtliche Leistung…
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