Vor langer Zeit schrieb ich für mich 40 Lebensregeln auf, nach denen ich lebe oder zu leben wünsche. Die erste Regel enthielt die Forderung „Wenig Fernkommunikation.“ Obwohl ich diese Regel situationsbedingt breche – ich könnte ja nicht lesen in anderen Blogs und selbst nicht bloggen, hätte beispielsweise aktuell nicht gegen die Coronapanik und das Niederschießen unserer verfassungsmäßigen Rechte protestieren können. Ich müsste wieder zum Kartoffeldruck zurück, ein Bettlaken bestempeln und es aus dem Fenster hängen lassen. Die Leute würden stirnrunzelnd hochschauen und sich fragen: „Was wohnt denn da für ein Sonderling?“, würden vor allem den Inhalt meines Bettlakenprotestes ignorieren. Das Medium ist nämlich die Botschaft, und aus dem Fenster gehängte Bettlaken sind kein positiv konnotiertes Medium, sondern gelten als Aufschrei der ohnmächtigen Verzweiflung. Am Ende würde mich noch der Hausbesitzer abmahnen, ich hätte zwar die Wohnung gemietet, nicht aber die Außenwand.
Dann lieber Bloggen und dem Mainstream etwas entgegensetzen. Wenn man meine Blogaktivitäten freundlich unter „wenig Fernkommunikation“ abhaken mag, bleibt da ja noch das Telefon. Als einer, der noch mit dem Dosentelefon aufgewachsen ist, telefoniere ich ungern. Das Telefon als gerätemäßige Erweiterung der Stimmkraft, ist mir aus nachvollziehbaren Gründen fremd geblieben. Als ich nämlich 17 Jahre alt war, wohnten wir in einer Lehrerwohnung der Schule. Wir hatten noch kein eigenes Telefon. Für den Notfall gaben wir die Telefon-Nummer des nebenan wohnenden Lehrers an. Was ein Notfall ist, wurde unterschiedlich interpretiert. Jedenfalls gab es auch Mädchen, die beim Lehrer Ruß anriefen und mich zu sprechen verlangten. Frau Ruß kam dann in den rosafarbenen Plüschpantoffeln über den Schulhof und benachrichtigte mich vom aufgelaufenen Notfall. Das Festnetztelefon stand in der Diele. Ich erinnere mich an den Brokatbezug des Gehäuses, dessen Muster ich verlegen studierte, während das jeweilige Mädchen Liebesschwüre von mir verlangte. Da stand ich rotohrig in der Diele, denn ich ahnte, dass hinter der nur angelehnten Wohnzimmertür Frau und Herr Ruß interessiert lauschten. Ob das Trauma mich zur Regel „wenig Fernkommunikation“ veranlasst hat?
Vordergründung argumentiere ich so, dass durch Fernkommunikation die Eile und Hetze in unseren Alltag dringt und ihn ummodelt. Viele kennen aus dem Berufsleben, dass einkommende E-Mails sogleich beantwortet werden müssen. Die Messenger-Dienste des Smartphones tragen zur ständigen Ablenkung von Arbeits- und Denkprozessen bei, indem dort ebenfalls zeitnahe Reaktionen gefordert sind. Wer wie ich gerne in eigenen Gedankenwelten unterwegs ist, wird durch den Umstand, auf so vielen offenen Kanälen erreichbar zu sein, immer wieder gestört.
Als mir vor nun acht Jahren eine Liebe entschwand, habe ich als erstes WhatsApp gelöscht, um diesen Kanal zu schließen. Am letzten Wochenende habe ich aber aus guten Gründen einen alternativen Messenger-Dienst auf meinem Smartphone installiert. Der Name des Dienstes verweist auf eine frühe Technik der Fernkommunikation. Gestern Morgen nun war mir, als würden verschiedene Telegrammboten sich meine Türklingel streitig machen. Man stelle sich das Gedränge vor. Wo bleibt social distinction? Ich plädiere für 250 Meter Mindestabstand.
Indem sich meine Lebenssituation verändert hat, muss ich mich neu orientieren. Darum schreibe ich derzeit aus dem Off, bin also nur halb da. Bis ich wieder mit ganzer Aufmerksamkeit bloggen kann, verrate ich wenigstens, was Nusskernmischung auf Finnisch heißt, nämlich: „Pähkinäsekoitus“
Da nehme ich glatt an, dass der letzte Satz dem ganzen Artikel eine Art bizarre Krone aufsetzen soll!?
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Eine bizarre Krone aus finnischen Nusskernen?
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in ich froh, dass ich bis zum Schluß gelesen habe!
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Ich auch, lieber Wolfgang.
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Gerne, ich kann dich gut verstehen…
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Deine neue Freundin bringt dich ja gut auf Trab 👍
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Tatsächlich. Und gut so. Aber die Anmeldung beim Messenger war nötig, um die Videosequenz eines Geburtagsständchens für Filipe d’Accord zu versenden.
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Das lobe ich am digitalen Gerät: Ständchen sind trotz großer Widerstände möglich 😊
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Du hättest noch erwähnen können, dass es sich bei dem Wort um ein Palindrom handelt: Pähkinäsekoitus heißt rückwärts gelesen nämlich Sutiokesänikhäp. Was es bedeutet, weiß ich leider nicht. Ich kann kein finnisch.
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Wenn es dich nach einem finnischen Palindrom gelüstet, hier das längste Wortpalindrom, das finnische Wort für Seifenverkäufer: saippuakivikauppias
(Wollte ich mir eigentlich als Gag aufsparen, aber, was tut man nicht alles für Freunde)
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Ich für meinen Teil, bin froh auch von einem nur halben Jules zu lesen. 😉
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Das ist sehr herzig, liebe Mitzi. Vielen Dank!
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Ja, mit Telegram ist man schnell überfordert… auch wenn man nur ein paar Journalisten folgt.
Dafür aber ohne Zensur. Man glaubt es kaum…
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Soweit, dass ich Journalisten folge, bin ich noch nicht, lieber Herr Ösi. Ich will den Kreis nicht über das nötige Maß erweitern.
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