Dinge des Lebens – Corona-Report, Tag 4

Die Frage, warum die Leute Toilettenpapier hamstern, beantwortet im Fernsehen eine Supermarktkassiererin so:
„Man muss denen nur in die Augen schauen. Da steht: ‚Ich, ich, ich!’“ Der rücksichtslose Egoismus ist freilich kein Produkt der Krise, tritt jetzt unter den Extrembedingungen nur stärker hervor. In Frau Merkels „marktkonformen Demokratie“ herrscht die neoliberale Doktrin der Individualisierung und Konkurrenz, mithin der Entsolidarisierung. Wo jede/jeder auf sich selbst gestellt ist, wirkt die epidemiologische Forderung nach „sozialer Distanzierung“ wie ein Brandbeschleuniger. Was soll da nur werden? Am Ende ist die Corona-Krise überwunden, aber jeder des anderen Feind.

Im Supermarkt sind die Regale am frühen Nachmittag noch gut bestückt. Nur Toilettenpapier ist weiterhin nicht zu bekommen. Wo es sonst aufgestapelt ist, stehen jetzt Konserven. Das dürfte hart und schmerzhaft werden. Der amerikanische Wissenschaftler Alan Dundes, Professor für Anthropologie und Völkerkunde an der University of California in Berkeley, hat schon 1987 in einer humoristischen Studie den deutschen Nationalcharakter als analfixiert beschrieben. Vermutlich hat er Recht.

Eine Freundin, deren Tochter Kinderpsychologin ist, macht mich auf den derzeitigen Stresstest für Familien aufmerksam. Die Schließung aller Schulen, Kindergärten, Kitas und der Spielplätze trifft natürlich das Prekariat am stärksten. Man mag sich gar nicht vorstellen, was derzeit in Familien geschieht, die ohnehin am Limit ihrer Belastbarkeit sind, in kleinen Wohnungen ohne Balkon und Garten, zusätzlich von materiellen Ängsten geplagt, von häuslicher Gewalt gar nicht zu reden. Und ist bei den Milliardenhilfen, die die Bundesregierung verspricht, wenigstens sichergestellt, dass die Energieversorger derzeit nirgendwo den Strom abstellen? Zwangsräumungen gibt es jedenfalls noch, wie Blogfreund Schreibenwaermt berichtet.

Meine Hände wundern sich, weil sie noch nie so oft und gründlich gewaschen wurden. Um den zusätzlichen Wasserbrauch nicht zu übertreiben, schnitt ich heute erstmalig in meinem Leben meinen Obstsalat mit Handschuhen. Es hat mich aber immer schon geschüttelt, wenn namhafte TV-Spitzenköche ihre Kreationen mit den bloßen Fingern angerichtet haben. Ich hoffe, sie tuns nicht mehr oder sind etwa die Mikroben von den Händen der Sterneköche wichtig für den Geschmack?

Vor Wochen schon sagte ein Freund am Biertisch: „Jens Spahn macht einen guten Job.“ „Warum findest du das?“, fragte ich, „weil er jetzt so oft im Fernsehen zu sehen ist?“ Wie gut er seinen Job macht, wissen wir nicht wirklich. Eine Freundin fand es hingegen beachtlich, dass ein Mann mit erst 39 Jahren eine derartige Aufgabe stemmen könne.“ Ich hielt dagegen, dass er in seinem Ministerium hochqualifizierte Fachleute habe, die im zuarbeiten. Sie wehrte ab: Natürlich habe der eine ganze Corona hinter sich. Sternstunde des Wortspiels! Corona, lat. für Kranz. Daher stammt unser Lehnwort „Krone.“ Jo mei, Corona ist Krone? Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht.

22 Kommentare zu “Dinge des Lebens – Corona-Report, Tag 4

  1. Corona geht mir derart auf den Kranz (lat. corona), der alten Prinzessin verrutscht gerade gehörig die Krone (lat. corona)😄Ja, die Deutschen sind sehr analfixiert, warum sonst hamstern sie Klopapier und Mehl, aber nicht saure Gurken und Ketchup (z.B.)? Wir sind ja sonst mit den feinsten Lebensmitteln ausgestattet (Burrata, Medjoul-Datteln, Ziegenkäse im Speckmantel, Beluga-Linsen, Ingwer, Süßkartoffeln!!) Mein ewiges Terrorkid, seit einigen Tagen im Homeoffice, versteht meine Sorge ums Klopapier übrigens nicht: „Wasch doch mit Wasser“, sagt er cool, „bei uns macht man das immer so.“ Mehr Sorgen macht er sich um seinen Job, wie übrigens mehrere unserer Freunde und Bekannten… Ich fürchte, selbst wenn das große böse C uns verlässt, schlittern wir gerade auf die schrecklichste Wirtschaftskrise seit 1929 zu. Der Heil tritt im TV als Heilsversprecher der Wirtschaftshilfsfonds und unbürokratischen Hartz-IV-Bezüge auf, aber wie das für Millionen Menschen erwirtschaftet werden soll, das muss ihm wohl die Kristallkugel noch in einer stillen Stunde verklickern…Stay alive, Freund und Frontkämpfer😄

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    • Hab geträumt, dass ich meinen Corona-Report auch mal mit anderen Themen abwechseln soll, weil manche wie du genug davon haben. Im Traum standen zwei elend lange Texte für die Veröffentlichung an, doch ist ja nur geträumt. 😉 Sorry, ich bin nicht vertraut mit deinem Terrorkid. Wo ist „bei uns?“
      Zur Finanzierung der Finanzhilfen wird man sich wohl verschulden müssen. Aber wenn auf Dauer nichts erwirtschaftet wird … , ist auch Herr Heil mit seinem Latein am Ende. Lieber nicht weiter denken.
      Alles Gute, liebe amanita, und halt dich tapfer

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      • Danke, du auch 😊 Ich bin ja an seltenes Ausgehen und Homeoffice seit vielen Jahren gewöhnt, sodass es mir nichts ausmacht. „Bei uns“ (Terrorkid) ist der südasiatische Raum. Terrorkid lebt allerdings in München und ist voll von der Ausgangssperre betroffen. Wir anderen Bundesländer werden die wohl erst etwas später (Montag?) bekommen….

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    • Du hast Recht, wir jammern auf hohem Niveau. Verständlich, weil wir Zeit brauchen, uns umzustellen. Ich schätze, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Toilettenpapier und Kloputzmitteln gibt. Die Intervalle der Klonutzung haben sich vermutlich nicht verändert, nur die des Klopa-Kaufs.

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  2. Jens Spahn … Ein eigenes Thema für sich. Einer der beruflich aus dem Bankengewerbe kommt und nun für Gesundheit verantwortlich ist, na ja. Und sein Beraterstab scheint gar nichts zu taugen, denn was bitte schön, haben die schon gestemmt??? 🤔

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    • Ja, von Frau Merkel ins Gesundheitsministerium abgeschoben, konnte er sich anfangs nicht anfreunden mit seinem Ressort und hetzte gegen Hartz-IV-Empfänger. Jetzt kann er sich unvermutet durch Medienauftritte profilieren, und schon rücken seine Kanzlerambitionen wieder näher. Deine Frage kann ich nicht beantworten.

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      • Mag sein, das er sich scheinbar dadurch profilieren kann, ich mag ihn trotzdem nicht. Und der Spahn als Kanzler? Himmel hilf und bewahre uns davor.
        Ich halte ihn für völlig fehl am Platz und in der Politik.
        Unsympathisch machte ihn nicht nur die Hetze auf Hartz4 – Empfänger, auch so manch anderer Bock, den er da geschloßen hat.

        Eine Antwort auf meine Frage habe ich auch nicht wirklich erwartet 😉

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  3. Manchem Politiker steht die überraschende Erkenntnis ins Gesicht geschrieben, dass sie Entscheidungen von größter Reichweite treffen müssen. So mancher fühlt sich plötzlich richtig staatsmännisch, was die Ausstrahlung von Souveränität stärkt. Der junge Spahn steckt das weg, Herr Laschet dagegen ist mit den Nerven zu Fuß.

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