10 Uhr. Ein junger Arbeiter im Blaumann mit Werkzeuggürtel kauft in der Bäckerei frohgemut sein Frühstück ein. Die Summe von 3,65 Euro will er mit einem 50-Euro-Schein bezahlen. Die Bäckereifachverkäuferin lehnt den Schein ab. Bei den wenigen Kunden bislang habe sie kaum etwas eingenommen, so dass sie nicht wechseln könne. Der junge Mann ist zu schnell für mich. Bevor ich reagieren kann und seinen Einkauf bezahle, greift er seinen Schein und eilt davon. Dass ich so langsam war, tut mir doppelt leid, denn er wirkte mit seinem punkig rasierten Schädel und dem Zopf ein wenig rachitisch auf mich – wie einer, den man in seiner Kindheit kaum beachtet hat. Dem hätte es gut getan.
Auf der im Zeitungsständer ausgelegten Bildzeitung fordert Bayerns Ministerpräsident Söder, die Fußballstars sollten auf Millionen verzichten, um die Vereine vor Insolvenz zu bewahren. Welch ein Segen, dass auch an die Multimillionäre und die millionenschweren Vereinsunternehmen gedacht wird. Ich hatte mir schon vor lauter Sorge die Fingernägel abgekaut.
Auch meinen mitgebrachten Brötchenbeutel lehnt die Bäckereifachverkäuferin ab. Natürlich ist die Papiertüte hygienischer, denke ich und stecke den Beutel wieder ein. Beim Einkauf Ressourcen zu schonen, ist derzeit schwer. Ich kaufe wieder abgepacktes Gemüse, denn wer möchte schon kaufen, was 25 „Gemüseexperten“ vorher abgetatscht haben. Auch mag ich gar nicht an all die lebendigen Bäume denken, die jetzt den Klopa-Hamsterkäufen geopfert werden. Die Hersteller von Toilettenpapier wie die WEPA Industrieholding SE können sich über ein fettes Geschäftsjahr freuen und mit ihr der Vorsitzende des Aufsichtsrats Friedrich Merz. Gestern wurde bekannt, dass er positiv auf Corona getestet wurde, obwohl er in Klopapier baden könnte. Scheint also nicht zu helfen.
Teestübchen-Blog-Freund Schreibenwaermt teilt in einem Kommentar mit, dass in Frankfurt die Bordelle geschlossen wurden, weil sie entgegen aller Erwartungen doch nicht systemrelevant seien.
Den Fußweg hoch kommt ein alter Mann, sicher weit über 80 Jahre. Er geht, aufrecht zwar, aber ganz langsam, denn er trägt links und rechts in Beuteln schwer an seinem Einkauf. Für einsame alte Menschen ist diese Zeit doppelt bedrohlich.
In der Natur geht das Grünen und Blühen, das Tirili der Vögel unverdrossen weiter. Es fällt schwer, das mit der Coronabedrohung überein zu bringen. Der Mikrokosmos der Viren und Bakterien ist ja auch Natur. Wäre unser Planet ein Organismus, dann wehrt er sich gerade mit seinem kleinsten gegen den größten Schädling, wobei in Covid 19 einen Schädling zu sehen, die menschliche Sicht ist. Vage erinnere ich mich an eine Fabel. Darin wundern sich die Gänseblümchen: Warum schimpft man über den Wolf, wo er doch die Schafe frisst, die uns abrupfen? Wer kennt die Fabel und kann sie mir nachweisen?
Leider kenne ich diese Fabel nicht, aber der Gedanke darin gefällt mir sehr
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Mir auch, weil sie zeigt die Relativität von Urteilen zeigt.
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Prima, Deine Corona-Reports, man muß das festhalten, was im Kleinen geschieht.
Meine Begleiterin und ich arbeiten im Öffentlichen Dienst, aber in verschiedenen Betrieben, die beide wegen Corona zur Zeit geschlossen sind. Im Betrieb meiner Begleiterin sucht man händeringend nach vernünftigen Gründen, mit denen man die Mitarbeiter ins Home Office schicken kann, damit sie zu Hause bleiben können, und die, für die man nichts findet – und das sind viele – müssen halt weiterhin erscheinen. Die Ansteckungsgefahr ist zwar viel höher dadurch, aber Pech gehabt, solange keine offizielle Quarantäne ausgesprochen wird, hat mein keine rechtliche Handhabe. In meinem, viel kleineren Betrieb hat man heute einfach fast alle Mitarbeiter ins Home Office geschickt, ohne jede arbeitsrechtliche Rechtfertigung und ohne irgendeine Aufgabe. Faktisch ist das ein zusätzlicher Urlaub von viereinhalb Wochen, aber man darf es auf keinen Fall so nennen. Ich beschwere mich nicht.
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Danke dir für den Zuspruch und den Bericht. Wenn die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen kleine „vernünftigen Gründe“ sind, ja, was dann? Erstaunlich wie unflexibel der öffentliche Dienst sich manchmal darstellt.
Obwohl du im „Home Office“ keinen Urlaub hast, darfst du das getrist als Urlaub empfinden. Eine positive Grundstimmung stärkt auch das Immunsystem.
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Beim Thema Mensch als Schädling fällt mir folgender Witz ein.
Treffen sich zwei Planeten im All.
Planet 1: „Wie geht’s? “
Planet 2: „Geht so. Ich hab grade Homo Sapiens “
Planet 2: „Macht nix. Geht vorbei „
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Danke für den passenden Witz. 🙂
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Deine Fabel hört sich nach Thurber an.
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Stammt aus einem Lesebuch, ich vermute eher von Äsop, weil ich glaube, dass mir Thurber erst durch dich begegnet ist, damals im Vogelfrei.
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von äsop (ich hab gekokelt) stammt die fabel mit dem wolf und dem schaf, die beide aus dem gleichen fluß trinken. sie endet natürlich damit, dass der wolf das schaf frisst. kein gänseblümchen. selbige finde sich bei la fontaine (nicht dem oskar) wieder, der sich vielfach ja auf die antiken quellen bezog. dank dir, lieber jules, habe ich dieses und ein, zwei andere fabelbände, die in der regel wunderschön bebildert sind, wieder in die hand genommen.
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Danke fürs Nachschauen, meime Liebe. Jean de la Fontaine also. Geht die Fabel denn wirklich so?
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wie gesagt: kein gänseblümchen, sondern nur ein vermeintlich, vorgeblich wütender wolf, der einen grund sucht, das schaf zu fressen. was er dann ja auch tut.
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No, das ist die Fabel nicht.
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sag ich doch: kein gänseblümchen. 😉
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Sorry, da hatte ich dich missverstanden.
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In der Tiermast funktioniert die Haltung großer Bestände auch nur, weil ständig mit Antibiotika die „Gesundheit“ der Tiere aufrechterhalten wird. Tierseuchen raffen trotzdem immer wieder Schweine, Rinder oder Hühner dahin. Ist eben so. Ein Risiko unserer Lebensweise, das die Nutztiere zu tragen haben. Jetzt sind wir dran. Ein Risiko unserer Lebensweise, das wir zu tragen haben.
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Mit dem Unterschied, dass sogenannte Nutztiere keine Wahl haben. Der Mensch kann wohl wählen zwischem schädlichem Verhalten oder nicht. Die Coronakrise zwingt hier hoffentlich zum Umdenken.
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Ja. Hoffen dürfen wir das. Aber erwarten wir das auch?
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No, Sir.
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Auch ich kenne sie nicht, mit gefällt sie aber, die Fabel.
Lesend, dank Zeit, wieder näher bei den Blogfreunden. Wenigstens das.
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In Köln sagt man: „ Nix is esu schläch, dat et net och för jet joot wör.“ (Nichts ist so schlecht, dass es nicht auch für etwas gut wäre.) Dass du nun mehr Zeit für einen Besuch hast, freut mich.
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Mich auch, lieber Jules
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