Die Fenster des Busses sind von außen mit einem Werbeposter beklebt. Es ist von innen fast transparent, bewirkt aber einen Spiegeleffekt. Ich sitze mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und sehe in das schöne Gesicht einer jungen Frau. Sie telefoniert lächelnd und hat sich dabei zum Fenster gewandt. Ihr Gesicht spiegelt sich, so dass es wirkt, als würde sie mit sich selbst telefonieren.
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Im gut sortierten Schreibwarengeschäft, geführt von Vater und Sohn, frage ich den freundlichen Alten nach Holzleim. Er geht in einen Nebenraum und kommt zurück mit einer Flasche Ponal. „Jetzt kann alles wieder gerichtet werden“, sagt er. Ich verschweige ihm, dass ich eine Schublade kleben muss, deren Inhalt aus mir wichtigen Papierartefakten meiner kreativen Vergangenheit besteht. Als ich den Schreibwarenladen verlasse, höre ich ihn zum Sohn sagen: „Wir müssen neues Ponal bestellen.“ Schön, wenn die Warenhaltung noch durch Augenschein und mündliche Nachricht organisiert wird und nicht durch einen frigiden RFID-Code.
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Aus dem türkischen Supermarkt an der Limmerstraße weht türkische Musik. Mich überholt ein groß gewachsener weißhaariger Mann und sagt im Vorbeigehen etwas Despektierliches über seine Schulter weg. Einige Schritte darauf erneut. Ich scheine gemeint zu sein und sage:
„Was reden Sie da?“
„Türkische Musik in Deutschland!“, sagt er verächtlich.
„Das ist ein türkischer Laden, da passt es doch.“
Er antwortet nicht, sondern eilt davon. Ich denke: „Du Depp, hier am unteren Ende der Limmerstraße solltest du dich an türkische Mitbürger längst gewöhnt haben.“ Alt genug ist er auch. Das Alter bringt nicht nur körperliche Einschränkungen, sondern manchmal auch geistige Beschränktheit. Mir ist peinlich, dass er dachte, ich würde ihm beipflichten.
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Eine gute Freundin, sandte mir die Fotografie eines kurzen Textes von Friedrich Karl Waechter. Die witzige Kurzgeschichte ist die genaue Beschreibung einer Cartoon-Bildserie, wie sie F.K. Waechter hätte zeichnen können, wenn er nicht im Jahr 1992 aufgehört hätte zu zeichnen. Den Grund erzählte mir einst sein Freund und Weggefährte Robert Gernhardt.
[Zum Lesen der Kurzgeschichte bitte klicken!]
ich mag deine alltagslichtblicke. früher hasste ich erzählerische Beschreibungen. später erkannte ich, dass sie eine Kunst sind. heute beneide ich menschen, deren wacher blick uns diese Kleinodien bewahrt.
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Das freut mich, vielen Dank! Den wachen Blick habe ich eine Weile trainiert für mein Format „Abendbummel online.“ Indem ich keine Abendbummel mehr mache, passt mein neues Format „Die Dinge des Lebens“ besser.
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Lieber Jules, Hannover scheint einen dritten und vierten Augen- und Ohren-Blick wert zu sein. Ich hätte da ja eine Idee… 😉
Bis bald,
Anna
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Liebe Anna,
auf jeden Fall, zumal man nicht jeden Tag gleich viel sieht. Manchmal sehe ich so gut wie nichts, manchmal bin ich wie ein Seismograph des Alltags, was meinem alten Format „Abendbummel online“ zugute kam.
Bis morgen
Jules
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Mein Ponal ist auch alle…
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In Wahrheit ist es so: ihr habt für irgendeine HacKtion ganz Hannover leer gekauft, damit total kreativen Unfug betrieben und wundert euch jetzt zufällig über die aufgebrachten Vorräte… Durchschaut! 😉
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@ Anna
Das hätte mir gefallen. In Wahrheit hat sich HaCK schon Monate nicht mehr getroffen.
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Ich weiß. Mein Witz war eigentlich eine digitale Schweigeminute. 🙄
Aber wer weiß was noch ausgeHaCKt wird… 😉
(habt ihr eigentlich alle diese Wortspiele schon ausexerziert?)
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Ja, Steffen hat das in seinen SMS getan, wenn er zu Treffen einlud.
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@ Spraakvansmaak
Wenn man viel zu kleben hat …
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Ponal ist in der Flasche das, was Gafferband auf der Rolle ist: unentbehrlich und leider aus Plastik.
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Ist mir fast lieber als wäre es tierischer Leim.
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Danke für den Link.
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Bitteschön, welchen meinst du?
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Den zu der Kurzgeschichte
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Hasenleim musste ich mal für die Schule kaufen, fand ich ganz ganz ekelig, und hab mir eingeredet es wäre ein traditioneller Name für ein mittlerweile synthetisches Produkt.
Aus Gründen der Harmlosigkeit wäre biologisch erzeugter Leim natürlich vorzuziehen. Auch wieder eine Herausforderung an der man wachsen kann…
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Na, weiß nicht. Filipe d’Accord hat seine Aufkleber mit veganen Farben drucken lassen.
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