Einiges über die Karrenspuren des Denkens

Manchmal stehe ich auf und gehe in die Küche, weiß dort aber nicht, warum ich hingekommen bin. Böse Zungen werden behaupten, das liege an meiner Schusseligkeit, was mich aber nicht trifft, denn selbstverständlich ist meine Schusseligkeit wichtig. Ich hege nämlich die Vorstellung, dass Schusseligkeit ein wirksamer Schutz gegen eingefahrene Denkwege ist. Meine innere Welt stelle ich mir als weite Ebene vor. Der Aufmerksamkeitsfunke des Denkens ist ein Karren, der dort seine Wege zieht. Dabei graben sich seine Räder immer tiefer, je öfter da lang gedacht wird. Das hat zur Folge, dass es zunehmend schwerer wird, neue Wege zu befahren, weil die Räder des Karrens immer wieder in die alte Karrenspur rutschen. Vergesslichkeit oder Schusseligkeit ist wie ein Flutwasser, das für kurze Zeit die Ebene überschwemmt und die meisten Karrenspuren verschwinden lässt, so dass, wenn die Ebene wieder trockengefallen ist, völlig neue Wege gefahren werden können.

Kürzlich nun entdeckte ich eine Karrenspur, die offenbar nie ein Flutwasser erreicht hat. Sie war schon tief eingefahren und betraf den Namen eines niederländischen Künstlers, Theo van Doesburg. Eine vom deutschen Sprachverständnis gegrabene Karrenspur ist, oe in Doesburg als Umlaut zu lesen, also Dösburg. In diese Karrenspur war ich nie gerutscht, denn ich weiß, dass Niederländisch OE wie langes U gesprochen wird. Mit diesem Wissen befand ich mich aber in einer parallelen Karrenspur, und es gelang mir erst gestern, sie zu verlassen und einzusehen, dass Dusburg und Duisburg durchaus eins sein können. Denn das I in Duisburg ist ein sogenanntes Dehnungs-I, gibt also an, dass diese Ruhrgebietstadt am Rhein Dusburg mit langem U gesprochen wird, also nicht Düsburg, wie wir das üblicher Weise tun. Does oder Duis geht auf mittelniederländisch dôse (Sumpfgebiet) oder dust (Unterholz) zurück.

Theo van Doesburg ist mir aus dem Kunststudium seit etwa 1975 ein Begriff, weil er ein Freund von Kurt Schwitters war. Von Duisburg weiß ich gewiss länger, obwohl ich noch nie dort war. Ich kann nur über mich staunen, dass mir die Ähnlichkeit zwischen Doesburg und Duisburg erst nach 45 Jahren aufgefallen ist. Die tiefsten Karrenspuren werden von Sprach- und Schreibgewohnheiten gegraben.