Aus dem Regal eines Supermarktes fischte ich eine Einkaufsliste. Jemand hatte sie zu den Plastiktüten unter dem Förderband gestopft. Solche Zettel sind alltagsethnologische Dokumente, geben Auskunft über Einkaufs- und Orthographiegewohnheiten und über den Zustand unserer Handschrift. Dieser hier trägt auf der Vorderseite die Einkaufsliste, auf der Rückseite eine rätselhafte Botschaft:
„manche mögen es schon kennen wiederum die die es nicht kennen werden sich Tod lahen“.
Zunächst fällt die radikale Kleinschreibung auf, die allein beim Wort „Tod“ aufgegeben wurde. Auch „Tod lahen“ entspricht nicht der herkömmlichen Orthographie, es müsste nach alter wie neuer Rechtschreibung „totlachen“ heißen. Die Sonderstellung von „Tod“ wirkt bedrohlich. Das fehlende „c“ bei lachen und der Verzicht auf Punkte und Kommata verleihen der Botschaft etwas Atemloses. Trotzdem wurden die Zeilen nicht rasch geschrieben, wie etwa unter einem erstickten Lachanfall, denn die hübschen Buchstaben sind bis zuletzt sauber ausgeführt.
Die Einkaufsliste auf der Vorderseite ist mit Bleistift geschrieben, die Rückseite mit Kugelschreiber. Beide Aufschriften sind also zu unterschiedlichen Zeiten entstanden. Demnach ist der Schreiber noch einkaufen gegangen, nachdem er die unfertige Ankündigung verfasst hatte, anders als jene „wiederum“, die „es“ schon kennen. Wenn die Prophezeiung des Textes stimmt, müssen sie sich bereits in den Tod gelacht haben, liegen vermutlich glucksend in der Kiste und kriegen sich nicht mehr ein. Darauf verweist das Präsens, denn sonst müsste es heißen: „Manche kannten es schon.“
Den Grund für deren Lachtod teilt der Schreiber nicht mit. Man mag das bedauern, doch die Unterschlagung des Anlasses ist ganz offenbar eine notwendige Sicherheitsmaßnahme. Nicht einmal der Schreiber hat gewagt, sein Wissen zu Papier zu bringen, und das erklärt auch, warum er selbst überlebt hat und noch „Lambrusko 9% Rotwein“ nach Hause tragen konnte.
Es handelt sich hier wohl um ein Verbot oder die Ankündigung einer Invasion durch Außerirdische. Nur die, die es nicht wissen oder kennen haben noch Grund zu lachen. Allerdings lässt mich die Futur Form doch noch zweifeln, denn diese deutet ja darauf hin, dass man erst lachen wird, wenn man es denn kennt. Ein interessanter Fall, der wohl nicht wirklich gelöst werden kann. Was die Rechtschreibkunst betrifft, stand gestern ein ernüchternder Artikel in der FASZ. Selbst die Leerkrävde sind nicht mehr dazu in der Lage, richtig zu schreiben.
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Ich muss hier meine Kolleginnen und Kollegen in Schutz nehmen. Wer hat behauptet, die Lehrkräfte könnten die Orthographie nicht und auf welcher empirischen Grundlage, dem eigenen Schätzurteil nach? Derlei Pauschalisierungen sind stets mit Vorsicht zu genießen. Meist steckt dahinter eine narzistische Kränkung.
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Na ja, es war einfach ein Artikel in der Zeitung, ich habe ihn noch nicht mal ganz gelesen, sondern nur die fettgedruckte Einleitung. Ich schaue noch mal nach, wenn ich zu hause bin.
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Was stand denn auf der Liste? Alufolie vielleicht?
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„Lambrusko 9% Rotwein“
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Ja, der stand im Text, ich hatte die Hoffnung, die Liste wäre länger gewesen. Trotzdem danke für die Antwort, natürlich.
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Ich stelle mir gerade die Frage, warum man eine Einkaufsliste braucht, wenn „Lambrusko“ als einziger Artikel „aufgelistet“ wurde. Kann man überhaupt bei einem Artikel von einer Liste sprechen? Damit ist die Definition einer Liste doch noch gar nicht erfüllt. Übrigens, wird Lambrusco mit „c“ geschrieben und nicht mit „k“. Kurioser Fund in jeglicher Hinsicht, lieber Jules. Wahrscheinlich eine Botschaft, die viel tiefsinniger ist und nur von Eingeweihten verstanden werden kann.
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Danke für den Hinweis auf Lambrusco, liebe Serap. Es stand mit K auf dem Zettel, der mit einem einzigen Posten tatsächlich keine Liste ist. Du hast Recht, wir werden auch mit detektivischem Gespür nicht hinter den Sinn des Zettels kommen. Er darf ein Mysterium bleiben 😉
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Ganz klar, Tante Mathilde hat sich die einleitenden Worte für die Büttenrede notiert, die sie vor den Nachbarschaftsfrauen zu halten gebeten wurde. Den Lambrusco braucht sie vorher, um in Stimmung zu kommen 🍹🍸🍷
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Die Interpretation gefällt mir. Passt auch gut in die Jahreszeit. Nach Tante Mathildes Rede lagen alle unter den Tischen? Eine herrliche Vorstellung, besonders wenn ich an die Lackschuhkarnevalisten vom AKV beim Orden wider den tierischen Ernst denke.
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Solche Einkaufszettel sind tolle Fundstücke. Gerade weil man nur raten kann, was der Verfasser meinte. Ich hoffe der Lambrusco hat ihm geschmeckt.
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Manchmal aber auch unbefriedigend, wenn man so gar nicht hinter den Sinn kommen kann.
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Das kann ich nachvollziehen.
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Wer schreibt dazu, wie viel Prozent ein Wein haben soll, darf oder muss? Jemand, der sich nicht einfach betrinken will, sondern Berechnungen anstellt, wann genau welches Maß an Trunkenheit eintreten soll? Eine zwanghafte Persönlichkeit? Ein Buchhalter?
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Ich kenne mich mit Lambrusco nicht aus, könnte sein, dass der Alkoholgehalt mit dem niedrige Preis korreliert? Früher hörte ich von Lambrusco nur als preiswertem Billigwein, um sich günstig zu besaufen.
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Da es nur noch wenige Menschen gibt, die ihre Einkaufszettel und Notizen handschriftlich verfassen, müsste der Schreiber auffindbar sein.
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Schön, wie du so was scheinbar banales interessant machst, in dem du versuchst, die Hintergründe zu erörtern. Ich mag das, hebe auch solche Zettel auf oder finde welche in Einkaufswägen, mache mir meine Gedanken. Ich denke, für die meisten Leute ist das nur Müll. Fällt mir gerade ein, schon seit ich denken kann, hebe ich Schrauben, Muttern, Unterlegscheiben, etc. auf, die man so findet auf den Wegen. Tat mein Opa auch. Es entsteht eine schöne Sammlung von Kleineisenwaren, aus der man sich im Bedarfsfall spontan bedienen kann😌. Hat dies was mit Achtsamkeit zu tun?
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Ein Kommilitone von mir ist auch so ein Sammler von Kleineisenwaren, hielt mit dem Auto für jede Schraubenmutter an, die auf der Straße lag, könnte man ja mal zum Basteln und Schrauben an alten Motorrädern gebrauchen. Papierfetzen aufzuheben, hat schon in den 1920-er Jahren Kurt Schwitters vorgemacht, um sie in Collagen zu verwenden. „Achtsamkeit“ im mythologisch/religiösen Sinn ist das Aufheben von Papier und anderen Beschreibstoffen. Schon Franz von Assisi hob jeden Fetzen auf. Es könnte der Name Gottes darauf stehen.
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Genial. Fühle mich 😊 gut.
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