Nachdenken über Medizin

Wieder in der Stunde des Wolfes aufgewacht und wach gelegen. Mir ist schlecht. Wem tagsüber schlecht ist, der hat den Impuls, sich hinzulegen. Was aber, wenn einem schlecht ist beim Liegen? Gibt es ein Hinlegen vom Liegen, eine Sorte tieferes Liegen? Mein Hinlegen vom Liegen ist Aufrichten. Ich setzte mich aufs Bett und horche in mich hinein? Was ist los? In einem Raumschiff würden jetzt auf der Brücke Kontrollleuchten aufblinken, ein „Mutter“ genannter Computer würde die Störung analysieren, für die Besatzung in verständliche Sprache übersetzen und Lösungen vorschlagen.

Die für den Laien sinnentleerte Schrift – Das Blatt mit meinen hier nicht zu sehenden Blutwerten enthält bis auf den abschließenden Satz nur Nullinfomationen für mich. Selbst der ist missverständlich, worauf Freund und Kollege Lo hinweist.

Per E-Mail bekam ich ein Blatt mit den Ergebnissen einer Blutuntersuchung, für mich ein Paradebeispiel für die Sinnentleerung von Schrift. Techniker der Besatzung wüssten, was alles bedeutet, wie der abschließende Befund „Labor in Ordnung“ zu werten ist, weil sie am Raumschiff ausgebildet wurden. Ich bin natürlich keine Besatzung meines Körpers. Ich habe ihn nicht einfach aufgesucht, sondern bin mit ihm geboren. Ich bin das Ganze, bin der, der gerade schreibt und der, dem schlecht war. Die oben benutzte Metapher ist das Problem. Daran schließt sich sinnvoll die Klage, für den Körper keine Betriebsanleitung zu haben.

Die Trennung von Körper und Geist ist ganz mechanistisch, als wären wir Roboter. In der ganzheitlich Medizin soll die Trennung aufgehoben sein, dabei weiß auch die Schulmedizin längst vom Placebo- und Nocebo-Effekt. Man weiß vom Selbstheilungseffekt. Dieses an sich dumme Wort drückt das ganze Missverständnis aus. Es gibt überhaupt nur Selbstheilung. Alle Medizin ist nur der Weg dorthin. Oft habe ich festgestellt, dass mein Körper auf kleinste Impulse reagiert. Medikamente sind keine kleinen Impulse. Medikamente bohren tiefe Löcher, jagen einen Dübel hinein und versenken eine Befestigungsschraube, wo auch Spucke gehalten hätte. Die Spannung, die durch diesen brutalen Zugriff entsteht, lässt an anderer Stelle eine Schwachstelle aufreißen, was mit den berüchtigten Nebenwirkungen umschrieben wird.

Muss da nicht besser nachgedacht werden über sanfte Maßnahmen? Ich glaube, als erstes muss der Mensch sich als Einheit begreifen. Es ist nicht das Gehirn in einem angegriffenen Körper, das diese Zeilen schreibt. Es ist der ganze Körper, der ganze Mensch. Der fühlte sich in der Nacht nicht wohl, aber sollte wissen warum. Die Medizin des sich selbst Verstehens wäre der evolutionäre Schritt weg vom steinzeitlichen Vorfahren, der auf Hilfe von außen hofft und mühevolle Reisen zu Kultorten wie Stonehenge und zu Schamanen unternahm, um letztlich doch an einer entzündeten Zahnwurzel elendig zu krepieren.

Am heutigen Freitag werde ich meine Ärztin erneut aufsuchen und erfragen, wieso mir schlecht ist, wenn die Techniker „Labor in Ordnung“ rufen.

30 Kommentare zu “Nachdenken über Medizin

  1. Nun aber ohne Spaß: Dein Bild mit den Medikamenten, die große Löcher bohren kann ich momentan bestätigen: ich bekomme erstmalig, wohl für immer, eine so klitzekleine Minitablette, die es schafft, meinen Puls derart zu verlangsamen, dass ich über die enorme Wirkung dieses unscheinbaren chemischen Winzlings nur staune.

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    • Der Spaß ist wichtig. Ich bedauere, dass du diese Tablette jetzt schlucken musst. Man bekommt ja so leichthin von den Ärzten „lebenslänglich.“ Damit konnte ich mich lange nicht anfreunden. Bin glücklich um jede Reduzierung und niedrigere Dosierung.

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  2. …ich wünsche Dir eine schnelle, spontane Selbstheilung!

    …der steinzeitliche Vorfahre hat mit großer Wahrscheinlichkeit noch besser gewusst, was zu tun ist, wenn ihm schlecht war, schnurstracks rannte er in den Wald zu genau der Wurzel, die ihm helfen würde…Tiere wissen auch, was sie fressen müssen, um gesund zu werden…nur der Mensch hat die Verbindung zu seinen inneren und äußeren Wurzeln verloren….ansonsten bin ich mit allem d`accord…

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  3. Lieber Jules,
    ich wünsch dir natürlich von Herzen gute Besserung!
    Das Bild mit den Löchern berührt mich sehr, du kennst ja meine Migränezustände und – Folgezustände. 🤯 Und sehe ich mich als eine schon sehr beschädigte Rigipsplatte. Die Schrauben werden ja nach 24 Stunden wieder rausgedreht, aber der Schaden im Material bleibt…
    Oft genug habe ich tatsächlich, schon vor deinem Text, das Gefühl, etwas verfugen zu wollen, Lücken zu schließen, Stücke wieder zusammen zu fügen.
    Mit nachdenklichen Grüßen, Anna

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    • Liebe Anna,
      herzlichen Dank für deine Wünsche! Du hast leiderleider Grund, das Bild von den Schrauben auf dich zu übertragen. Darum wünsche ich dir von Herzen, dass die Migräne-Attacken zurückgehen und du langfristig auf Medikamente verzichten kannst. In meinen Tagebüchern fand ich wiederkehrende Klagen über Kopfschmerzen (freilich nicht mit Migräne zu vergleichen). Damit habe ich heute kaum noch zu tun, weil kein Druck mehr von außen kommt und ich mir selbst möglichst keinen mache.
      Nachdenken, was man besser einrichten könnte, ist immer gut.
      Lieben Gruß
      Jules

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  4. Selbstheilung kann aber nicht immer gelingen: ein Tumor etwa heilt selten von selbst, er muss durch einen medizinischen Eingriff herausgeschnitten werden. Wäre der Körper ein Dieselmotor, dann wärs tatsächlich ein Selbstzünder, der die zum Betrieb erforderliche Zündung selbst besorgt. Wärs aber ein Benzinmotor, kann er das eben nicht selbst, der erfordert den sozusagen “brutalen Zugriff“ durch Fremdzündung damit er läuft. Obwohl beide Motoren technisch “in Ordnung“ sind.
    Verzeihen Sie darum, wenn ich Ihnen hier widerspreche, es gäbe “überhaupt nur Selbstheilung“: ich hatte nämlich unlängst eine Lungentumor-Operation indem mir “große Löcher“ in den Körper gebohrt wurden, und wodurch ich geheilt wurde. Mit sanften Maßnahmen oder gar Selbstheilung allein wäre das nicht gelungen.
    Freilich wünsche ich auch Ihnen gute Besserung!

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    • Uff, lieber Kollege, das wusste ich nicht, weil Sie über Privates im Blog wenig mitteilen. Ich erinnere mich noch gut an Ihre aufbauenden Worte, als ich im Teppichhaus mal über meine Gefühlslage nach dem Schlaganfall geschrieben habe. http://trithemius.de/2013/11/26/glocke-schlagt-nur-drei-und-drei/
      und bin Ihnen heute noch dankbar. Der heftige Eingriff, den Sie hier offenbaren, macht mich betroffen, und ich hoffe meinerseits, dass Sie sich wieder „derappelt“ (ein schönes Wort) haben und wieder ganz gesundet sind. Die Notwendigkeit operativer Eingriffe bestreite ich nicht, aber die anschließende Gesundung leistet man selbst.
      In diesem Sinne herzlichst – und danke für Ihren Kommentar.

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      • Lieber Kollege, danke für Ihren Zuspruch. Ja, bin wieder ganz gesund – hoffe, Ihnen gehts auch wieder besser.
        Mit dem Rauchen musste ich aus Gründen freilich aufhören – was kein reines Vergnügen ist, wie Sie aus eigener Erfahrung ja wissen, aber: was muss, das muss. (»Man kann, weil man will, was man muss.« sagte Kant, ich möchte es indessen zutreffender so formulieren: »Man muss, was man muss, ob man will oder nicht.«)

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        • Erfreulich. Ja, ich habe sogleich nach dem Herzinfarkt 2012 das Rauchen gelassen. Doch auch in der Kurklinik sah ich Leidensgenosssen, die nicht vom Rauchen abkamen, quasi verdrängt haben zu müssen, was sie mussten.
          Die Editors singen: „The saddest thing that I’d ever seen
          Were smokers outside the hospital doors.“

          Glückwunsch zur erfolgreicher Entwöhnung!

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  5. Guten Morgen Jules,
    Das Mögesternchen steht für Beunruhigung. Schwanger kannst nicht sein und dann kommen andere Möglichkeiten in Betracht, die abgeklärt werden müssen. Unerklärliche Übelkeit – dahinter kann sich viel verstecken. Mein Magen ist ein launischer Genosse. Er meldet sich schnell, wenn ihn etwas (be-)drückt…
    Ok, Du schreibst natürlich tapfer, sportlich und launig. Muss auch erwähnt werden, denn etwas Freundliches tut den Schleimhäuten so gut wie roher Kartoffelsaft oder ein Löffelchen Heilerde intraoral. Hast du einen Entsafter? Heilerde?
    Hier ist ein Link, mit dem du Blutwertchinesisch entschlüsseln kannst.
    Ganz schnell wünsche ich Dir jetzt Besserung!
    Herzlich (besorgt),
    Amélie

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    • Liebe Amélie,
      glücklicherweise nicht schwanger! Das wärs noch in meinem Alter 😉 Sonst kein Anlass zur Sorge. Bin fast wieder fit. Es lag wohl auch bei mir an einer Magenverstimmung. Ob die mir auch Kreislaufprobleme gemacht hat, konnte Frau Doktor nicht sagen. Schulmediziner sind ja auf isolierte Betrachtung von Symptomen geschult. Ich überlege ernsthaft, ob ich es mal mit Alternativmedizin versuchen soll. Hausmittel auch gut. Einen Entsafter habe ich leider nicht. Danke für die Tipps, den erhellenden Link und die guten Wünsche.
      Herzlich
      Jules

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  6. Ich bin froh, dass die Schwangerschaft bereits ausgeschlossen ist (nicht, das ich etwas damit zu gehabt hätte haben können).
    Dieses „mir ist schlecht, wenn ich mich hinlege“ kenne ich schon seit ein paar Jahren. Fing bei mir auch nach dem Schlaganfall an. Inzwischen tröste ich mich damit, dass es offenbar nur bei Schönwetterlage (wie halt gerade eben) aufkommt und bei auf-die-Seite-legen weggeht. Und Ärzte wissen darüber auch nicht sehr viel. Damals in der Reha, als ich das zum ersten Mal hatte, schickten sie mich (ach, ohweh!) gleich in eine Kopfklinik, wo ich die Nacht zu meinem Geburtstag verbringen durfte. Man wünscht sich andere Leute als ausgerechnet Ärzte, die einem morgens als erstes gratulieren, seien sie auch noch so nett. Gefunden haben sie nix.
    So dreh ich mich eben weiter auf die Seite. 😉

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    • Ja, in meinem Alter wollte ich ungern noch umschulen 😉 Der Zusammenhang, den du hier aufzeigst, ist mir neu und sieben Jahre nach dem Schlag sollte sich derlei nicht mehr etablieren, hoffe ich. Natürlich spielt der menschliche Kreislauf verrückt, wenn das Wetter verrückt spielt. Ich bin sehr wetterfühlig. Drum auch meine Vorstellung, einer Medizin der kleinen Impulse. Alles ist schon hilfreich, wennn es gelingt, gelassen zu reagieren wie eben dein Auf-die-Seite-drehen.

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  7. Kreatinin bis 1.30, steht da. Hast Du vielleicht nach halb zwei noch kreativ an einem Blogeintrag gefeilt? Dafür übernimmt das Labor keine Verantwortung.
    Nein, im Ernst, ich bin froh, daß es Dir wieder besser geht. Scheußlich, wenn es einem nicht gut geht, und man weiß nicht, woran es liegt.

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    • Vielen Dank! Ich käme gerne dahinter, weils in Intervallen wiederkehrt. Inzwischen habe ich die drei Medikamente in Verdacht, dass mein Körper sich immer wieder dagegen wehrt. Nächtliche Kreativitätsschübe wären mir lieber.

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