Drei Tage bleibt es – Gruselgeschichte in Folgen (2)

Teil 1 hier
atsächlich, da war ein Weg, mehr eine aufgewühlte Karrenspur, schwer zu befahren. Der blaue Himmel und die Sonne hatten mich vergessen lassen, wie oft es die Wochen zuvor geregnet hatte. Der Feldweg war völlig aufgeweicht. Ich konnte kaum verhindern, vom schlammigen Mittelstreifen in eine der unergründlich tiefen Pfützen in der Karrenspur zu schliddern, wo der Vorderreifen pratschend, gurgelnd und schmatzend eine trüb-lehmige Bugwelle vor sich her schob. Da auch dieser Weg anstieg, wurde mir das Radfahren zu mühsam. Ich entschloss mich, abzusteigen und zu schieben. Derweil ich mein Rad über den aufgewühlten Weg schob, sah ich einen Steinwurf voraus steinerne Mauern. Der Plan in den Mitteilungen der Archäologischen Gesellschaft hatte mich an den richtigen Ort geführt.

Doch eine freudige Erhebung wollte sich nicht einstellen. Plötzlich fragte ich mich, wieso ich Mitteilungen einer dubiosen archäologischen Gesellschaft bekommen hatte. Und mit dem ersten Zweifel tauchten weitere auf. Warum war ich heute so überstürzt und gegen alle Klugheit aufgebrochen? Warum lebte ich so spartanisch in einer Hütte? Ich hätte es nicht sagen können. Mir fehlten alle länger zurückliegenden Erinnerungen. Was war gewesen, bevor die Krankheit mich niedergerungen hatte? Wer war ich überhaupt? Und warum war ich hierher gekommen?

Man hatte den Grundriss des Tempels längst freigelegt, dessen Fundamente restauriert und bis zu einer Höhe von rund einem Meter aus Bruchsteinen aufgemauert, um eine Ahnung von der Ausdehnung des Tempelbezirks zu geben. Es gab nichts zu vermessen, denn die Arbeit war schon vor Jahren getan worden. Auch hatte man eine Informationstafel errichtet, auf der eine Rekonstruktion des Tempels abgebildet und einige Daten angegeben waren. Ich ließ mein Schlamm bespritztes Rad zur Seite sinken, watete durch den Schlamm zu einer Art Pforte und betrat den heiligen Bezirk. Hier war der Boden trocken, und ich schritt über einen Teppich aus dichtem Gras. Sofort umfing mich ein wundersamer Friede. Das war ein besonderer Platz. Hier waren geheime Kräfte wirksam. Eine Weile stand ich horchend da, spürte der Kraft nach, die durch meinen Körper zu rieseln, dann zu strömen begann. Eine friedliche Stimmung umfing mich. Ich setzte ich mich auf eine der Tempelmauern, nahm mein Notizbuch hervor und versuchte meine Gefühle in Worte zu fassen. Aber so sehr ich mich mühte, es blieb nur ein Stammeln. So überwältigt war ich von der positiven Energie, die dieser Ort verströmte. Mit einem Mal sah ich klar. Ich musste keine Sprachkunst bemühen, keine geistreichen Formulierungen, keine Metaphern finden, um meine Gefühle zu beschreiben. Es genügte, das meiste zu streichen. Das Gute ist einfach. Kraft, Friede, Klarheit, das war es, was dieser Ort verströmte.

Ich sah ganz klar, dass dieser  2500 Jahre alte Tempel nur der letzte einer Reihe von Bauten gewesen war. Und schon vor den ersten Tempeln war dies ein Kultplatz gewesen. Seit Urzeiten waren die Menschen gekommen, um sich mit Energie aufzuladen. Um sie zu begreifen, hatten sie der Kraft einen Namen gegeben. „Varneno“ hatte der letzte Gott geheißen, der diesen Hain bewohnte, „Sunuxal“ hieß die Göttin.

Ich erhob mich und ging beseelt umher. Mein Blick fiel auf mein Fahrrad, dessen Hinterreifen in einer schlammigen Pfütze lag. Da sah ich, wie über dem Reifen kleine schlammige Blasen aufstiegen und zerplatzten. O nein, das war kein gutes Zeichen. Ich hob das Rad aus dem Schlamm und trug es in die Einfriedung. Tatsächlich, der Reifen hatte Luft verloren. Als ich mit den Fingerkuppen über den Mantel fuhr, fühlte ich eine Scherbe. Ich zog sie heraus, wusch sie in der Pfütze und legte ihn in meine linke Handfläche, um ihn zu betrachten. Es war unzweifelhaft ein Splitter von Feuerstein, ein ziemlich scharfes steinzeitliches Messer. Das zeigten mir die Bearbeitungsspuren an der Schneide.

Wie ich das uralte Artefakt in meiner Hand noch hin und her wendete, verbarg sich plötzlich die Sonne. Als ich aufschaute, war sie gerade hinter einer westlichen Wolkenbank verschwunden. Augenblicklich pfiff ein kalter Wind über die Kuppe und ließ mich erschauern. Aus den Niederungen stieg Nebel auf. Fröstelnd sah ich mich um. Wie spät mochte es wohl sein? Urplötzlich wurde mir die Trostlosigkeit der Landschaft bewusst, mehr noch mein Verlorensein. Was ich da in der Hand hielt, war etwas ganz Böses. Es hatte die Gräuel in sich aufgenommen, die man damit begangen hatte. An diesem heiligen Ort hatten Menschen einst Böses getan. Grausige Rituale traten mir vor Augen. Ich war verwirrt. Wo war nur die Klarheit, die Geborgenheit hin, die ich verspürt hatte? Plötzlich ergriff mich Panik. Ich wollte nur noch weg. Doch wie das mit einem platten Hinterreifen? Wenn ich mich nicht auf den Sattel setzen würde, könnte ich eventuell auf der Felge fahren. Das würde Mantel und Schlauch ruinieren, doch es sollte gehen. An der Straße stieg ich aufs Rad und versuchte es. Da zeigte sich, dass auch der Vorderreifen keine Luft mehr hatte. Das machte ein Lenken unmöglich. Vor allem die steilen Serpentinen konnte ich unmöglich wagen zu fahren. Enttäuscht stieg ich ab und ließ das Rad in die Böschung sinken. Was nun? Ich fror erbärmlich.

Folge 3

9 Kommentare zu “Drei Tage bleibt es – Gruselgeschichte in Folgen (2)

    • Dann hast du die reale Vorlage für den Tempelbezirk entdeckt: Varnenum in der Nähe von Aachen-Kornelimünster im schönen Münsterländchen. Dort war ich Lehrer. Mein Freund und Kollege Bernd wollte mit seiner Band ein Konzeptalbum einspielen zum Tod seiner Katze Molly Mietzke. Er hatte sie drei Tage vermisst und dann tot im Straßengraben gefunden. Ich fuhr mit ihm zu Varnenum, um ihn dort für das Cover zu fotografieren und zu zeichnen. Es sollte eine Bildserie werden. Leider entschied sicxh die Band gegen das Projekt. In Varnenum hatte ich tatsächlich die besondere Magie des Ortes gespürt.

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  2. Lieber Jules, die friedliche Atmosphäre liest sich so deutlich, wie das plötzliche Umschlagen. Fein, wenn einem die Beschreibung von Gefühlen die ein Ort auslöst, so toll gelingt – fein für den Leser. Ich bin sehr froh, dass ich gleich weiter lesen kann.

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