Mein Vorgarten ist recht hübsch, nur nicht direkt vor meiner Haustür. Da fliegt schon mal Papier rum, und auch die gelben Säcke der Mülltrennung rund um die Straßenbäume stören ein bisschen. Das ist leicht zu erklären. Weil mein Vorgarten so groß ist, brauchen die Männer von der Stadtreinigung elend lang, bis sie sich zu meiner Haustür durchgekämpft haben. Meistens sind sie dann schon ziemlich kraftlos und räumen nur notdürftig auf. Es ist natürlich meine Schuld, denn warum muss ich auch so einen weitläufigen und verwinkelten Vorgarten haben.
Die Männer der Stadtreinigung könnten freilich auch mit dem Aufräumen vor meiner Haustür beginnen, wenn sie noch frisch und munter sind und nicht ahnen, wie viel Arbeit sie erwartet. Das tun sie aber nie, und ich wage nicht, sie zur Rede zu stellen. Am Ende sind sie beleidigt und kommen gar nicht mehr. Es gibt wohl Anweisungen von oben, wo sie beginnen müssen, wie sie sich vorzuarbeiten und wann sie an meiner Haustür anzulangen haben. Das betrifft vor allem die Männer mit den Besen. Ich habe gerüchteweise gehört, dass sie einige Bereiche meines Vorgartens öfter als andere auf Sauberkeit überprüfen und nötigenfalls fegen. Oben soll man bestimmte Gebiete bevorzugen, andere Ecken aber mit Missfallen betrachten. Daher dirigiert man die Männer mit Besen weiträumig um diese missliebigen Ecken herum.
Habe ich erwähnt, dass ich in meinem Vorgarten einen Spielplatz habe? Nein, ich spiele dort nicht, sondern schaue nur gern hinüber, wenn ich Lust habe, hinterm Fenster zu stehen. Mich wundert, wie selten sich Kinder dort aufhalten. Vielleicht kommen Besucher des Spielplatzes aber von weit her, haben lange Wege durch meinen Vorgarten auf sich genommen, und wenn sie dann endlich auf dem Spielplatz eintreffen, sind sie bereits Jugendliche. Darum ist auch keine Schule für sie zuständig. Weil sie so lange weggeblieben sind, hat man sie längst aus den Annalen gestrichen. War die Anreise der Kinder besonders mühsam, kommen sie noch später am Spielplatz an und sinken als fußlahme Erwachsene auf die Bänke. Da sitzen sie, stemmen die Füße in den Boden, betrachten die Grasnarbe und erwägen, ob es nicht besser wäre, darunter zu liegen. Am liebsten möchten sie gar nicht mehr aufstehen, nicht mehr vor und nicht mehr zurück. Der Weg war einfach zu beschwerlich.
Sie erinnern sich an Zeiten, als ihnen das Leben leichter fiel, als sie nur so aus purer Lust an Bewegung herumgerannt und gesprungen sind, als sie ohne Grund im Sand geschaufelt oder geharkt haben. Drücke ich einem von ihnen heute einen Besen in die Hand und sage, fege mal meinen Vorgarten, regt sich ein nicht zu überwindender Widerstand. Dabei ist das Fegen meines Vorgartens dringender denn je. Aus mir unbekanntem Grund werfen die Straßenbäume ihre Blätter ab. Heute, auf der Couch liegend, stieß mein Blick in die Baumkrone des Ahorns vor meinem Haus. Es geschehen da mysteriöse Dinge. Die Blätter flirren im Wind, doch einige tanzen aus der Reihe, beginnen irr zu schaukeln, offenbar gegen die Windrichtung. Rätselhaft, wo der Baum die Energie her nimmt, aber sein Ziel scheint mir klar zu sein. Will man einen Draht brechen, muss man ihn an der gewünschten Bruchstelle biegen, so heftig hin und her, dann wird die Stelle heiß und bricht irgendwann. So vermute ich, dass die Sollbruchstelle am Blattstil durch die heftige Schaukelei ebenfalls heiß wird. Ich schlage vor, dass mal der Einfluss der Bäume auf die Klimaerwärmung untersucht wird.
Überhaupt scheint mir, dass die mysteriösen Vorgänge in meinem Vorgarten besser erforscht werden müssten. Obwohl die Einwohner meines Vorgartens sich gestern einen Bürgermeister von der Partei Die Grünen gewählt haben, hege ich wenig Hoffnung. Ein grüner Oberbürgermeister wird das ruchlose Verhalten der Bäume eher decken als verbieten.
Das klingt schon fast nach Boris Vian nur lustiger.
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Boris Vian – ein Pataphysiker! Danke für den Vergleich.
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Gerne 👍
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mir ist so surreal ums gemüt. aber egal: schicken sie mir die vorgartenreiniger doch mal für meinen balkon vorbei. mit dem wären die sicher ratz-fatz fertig.
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„Sie?“ „Sie?“ Lass uns Schwester zueinander sagen. Ich würde dir(!) gerne beim Balkon helfen, der ja irgendwie auch zu meinem Vorgarten gehört, aber man hört ja nicht auf mich.
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oh, pardon, ich vergaß die nettigkeit der normalen bloggergemeinde. nebenher rede ich noch mit erzidioten, die ich lieber sieze. gilt nicht für dich. ganz sicher.
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Ein Glück! Auf der österreichischen Plattform twoday.net habe ich genossen, dass fast alle sich siezen, wie der Tenor dort überhaupt von Höflichkeit geprägt war. Aus dieser Zeit sieze ich bestimmte Blogger, aber mehr aus Respekt, weniger um Abstand zu halten. Sonst genieße ich in meinem gepflegten Netzwerk das vertrauliche Du.
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twoday war österreichisch? wusste ich gar nicht. damals duzten wir uns alle und fanden es gut und normal und waren trotzdem nett. respektlosigkeit lernte ich erst auf einer anderen (österreichischen!) plattform kennen, die ich nur noch gelegentlich besuche, um zu schauen, dass meine entscheidung richtig war. schade, dass man im laufe der jahre immer wieder „wandern“ musste und netzwerke, die ja nicht von heute auf morgen aufgebaut sind, zerstört wurden.
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Ja, twoday.net … da war das Siezen das neue Duzen.
Es kommt mir vor, als läge die Twoday-Zeit gerade mal so lange zurück, wie mein Weg durch den mysteriösen Vorgarten zum Spielplatz gedauert hat.
Ansonsten möchte ich mich Manfreds dem letzten Satz im Kommentar um 16:10 Uhr anschließen. So gut hätte ich es nicht formulieren können.
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An dein Samtmut-Blog bei twoday erinnere ich mich gut. Es war völlig anders als dein Blog bei wordpress, so dass ich eine Weile gebraucht habe, dich wiederzuerkennen, liebe Marianne. Ich war im April 2007 von Blog.de abgewandert, wo der Ton zunehmend hässlicher wurde und war vom kultivierten Umgang bei twoday angetan. Weggegangen bin ich nur, weil ich keinen Platz mehr für Bilder hatte.
Zu Manfreds Kommentar, ja, er trifft wie immer auf den Punkt.
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Eine interessante Hpothese zum Klimawandel. Die Verschwörung der Bäume gegen die Bewohner des Vorgartens. Es gefällt mir, wie deine Text die Grenzen des Realen überschreitet und dabei so ganz im Alltäglichen bleibt.
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Könnte passieren. dass sich die Natur mal gegen den Menschen wendet gleich unserem Immunsystem gegen schädliche Mikroben. Hab schon mal spekuliert, was wäre, wenn die Bäume im Frühling nicht mehr grün würden … Die Grenzen des Realen lassen sich leicht überschreiten, wenn man Alltägliches nicht wie gewohnt interpretiert.
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Manches Mal, lieber Jules, glaube ich, dass Bäume sich darüber amüsieren, was uns in unserem für sie kurzen Leben so alles besorgt, wie wichtig wir uns oftmals nehmen, mit welcher Unruhe wir handeln, weil wir die Erfinder der Zeitnot sind. Sie dagegen sind bodenständig, ruhen – lassen ihre Blätter über uns herabrieseln, und gucken in sich schmumzelnd zu, wie wir und unsere Autos und Züge darauf ausrutschen…
NuUr einmal gab es eine Birke, die brauchte Tapetenwechsel, und machte sich in der Dämmerung auf den Weg…. so sang zumindest Hildegard Knef.
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Du meinst, auch meine Zimmerpalme lacht über mich, lieber Lo? Zumindest muss gemessen an der Gemächlichkeit im Leben der Pflanzen unser Gewese ihnen irrsinnig hektisch vorkommen. Vom Tapetenwechsel-Lied kannte ich nur die erste Phrase, „Ich brauch‘ Tapetenwechsel…“ Hab nach deinem Hinweis nachgelesen, ist ja ziemlich surreal:
Ich brauch‘ Tapetenwechsel sprach die Birke
Und macht‘ sich in der Dämmerung auf den Weg
Ich brauche frischen Wind um meine Krone
Ich will nicht mehr in Reih und Glied
In eurem Haine stehen, die gleiche Wiese sehen
Die Sonne links am Morgen, abends rechts.
Ich brauch‘ Tapetenwechsel sprach die Birke
Und macht‘ sich in der Dämmerung auf den Weg
Ein Bus verfehlte sie um 20 Zentimeter
Und auf dem Flugplatz war sie ernsthaft in Gefahr
Zwei Doggen folgten ihr um Astes Breite
Und kurz nach zwölf traf sie ein Buchenpaar.
Ich brauch‘ Tapetenwechsel sprach die Birke
Und macht sich in der Dämmerung auf den Weg
Die eine sprach: „Sie haben hier nichts zu suchen
So was wie Sie hat nicht einmal ein Nest!“
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Deiner Zimmerpalme bist Du eher unheimlich, da sie ahnt, dass Du sie vermutlich (und auch hoffentlich!) überleben wirst.
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So ein Beispiel für einen Text, der sich aus einem Gedanken entwickelt. Ich muss das endlich auch ausprobieren …
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Nur zu.
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Lieber Jules, ich stelle mir die Beobachtung deines Vorgartens und der Besucher des Spielplatzes sehr reizvoll vor. Freilich nur oder ganz besonders wenn du das Geschehen kommentierst.
Liebe Grüße
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Du äußerst dich mal wieder, dass mir glatt das Herz aufgeht, liebe Mitzi. Danke für deinen Besuch meines Vorgartens.
Lieben Gruß.
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Es war mir ein Vergnügen, lieber Jules.
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