Kaffeeplausch mit Frau Nettesheim – Text und Bild

Frau Nettesheim
Sie lassen nach, Trithemius.

Trithemius

Was meinen Sie, Verehrteste?

Frau Nettesheim
Ihren Text über die Kaffeekanne.

Trithemius

Der ist doch hübsch geraten, obwohl ich in Zeitnot war.

Frau Nettesheim

Früher hätten Sie sich die Zeit genommen, hätten ein solches Objekt vor einen neutralen Hintergrund gesetzt, optimal ausgeleuchtet und fotografiert, um es im Beitrag zu zeigen.

Trithemius

Heute aber muss es reichen, wenn ich die Attribute „weiß“, „formschön“ und „tadellos“ verwende. Ich möchte bei der Inflation der Bilder nicht mitmachen. Wenn ich nur noch selten fotografiere, bekommen meine Bilder ihre Wertigkeit zurück, und das obwohl ich nur eine einfache Kamera besitze.

Frau Nettesheim

Die Dinge sprachlich zu überhöhen, wo Sie in Wahrheit einfach zu faul sind, konnten Sie immer schon gut.

Trithemius

Darum geht es mir auch, also nicht um die von Ihnen boshaft aufs Tapet gebrachte Faulheit, sondern um Sprache. Ich bin Autor und kein Fotograf.

Frau Nettesheim
Früher haben Sie multimedial gearbeitet, ja, verschiedene Medien einzusetzen, als besonderes Element des Bloggens hervorgehoben.

Trithemius

Das Besondere am Blog ist nach wie vor die wechselseitige Kommunikation. Ist ja nicht so, dass ich auf Bilder verzichte. Aber ich muss immer an Vilém Flusser denken, wenn ich in einem Blog elend lange Bildstrecken ohne Text sehe, die dann 45 sprachlose Likes bekommen haben.

Frau Nettesheim

Sie meinen Flussers Prophezeiung, dass die Schrift von Bild und Zahl in die Zange genommen werden wird.

Trithemius

Was er schon 1990 vorausgesagt hat, obwohl vom Internet kaum einer wusste.

Frau Nettesheim

Wieso eigentlich Zahl?

Trithemius

Die Algorithmen.

Frau Nettesheim

Beim Tsunami an Bildern im Internet passt auch ein abgewandelter Spruch von Karl Valentin. „Es ist schon alles fotografiert worden. Nur noch nicht von allen.“

Trithemius

Hehe. Ist glaub ich von mir.

Frau Nettesheim

Eitler Patron.

16 Kommentare zu “Kaffeeplausch mit Frau Nettesheim – Text und Bild

    • Mir scheint, dass alle Medien der Fernkommunikation diese Gefahr in sich tragen. Gestern im Bus ein unglaubliches Gerede. Als ich erstaunt nach vorne sah, redete keiner mit seinem Sitznachbarn, sondern einige Leute sprachen laut in ihr Smartphone.

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      • Ist es nicht merkwürdig, dass Menschen, die in ihr Smartphone plappern, glauben, dass die Menschen um sie herum sie nicht hören können? Ich habe noch nie so viele unwillkommene Informationen über Ehebrüche, volle Windeln und nässende Hautausschlage im Intimbereich bekommen wie seit der Erfindung des Handys. Und es belästigt mich mehr als Zigarettenrauch (ich bin lebenslanger Nichtraucher. Und verständnisloser Nichtquatscher). Ist wohl so ähnlich wie Autofahrer, die in der Nase bohren. Die glauben auch, man sieht sie nicht.

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        • Da kann ich dir zustimmen. Ich erinnere mich gut an den ersten Mitmenschen, der in der Öffentlichkeit laut private Dinge in sein Mobilgerät sprach. Er stand telefonierend an einem Hemdenstand, um ein Hemd auszusuchen und sagte gerade: „Was weiß ich, was ich für eine Scheißgröße hab.“ Was heute völlig normal erscheint, hat mich Mitte der 1990-er Jahre fürbass erstaunt.

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  1. Gegen ein wortloses Like mag ich nichts sagen. Auch das hat seine Berechtigung. Aber, so glaube ich lieber Jules, darum geht es bei dem Beispiel auch nicht. Es sind die lieblosen Klicks, denen keine Kommunikation folgt, die auf Dauer nicht zum bloggen passen. Viel schöner ist es, zu lesen, was ein Bild auslöst. Und für mich noch immer schöner als nur Bilder, sind Worte. Lesend zu lauschen, das ist schön. Im aktuellen Fall, Euch beiden. Wie immer eine meiner liebsten Rubriken bei dir.

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  2. Dialoge mit Frau Nettesheim begeistern mich auch immer wieder. Ich hatt Dir ja mal vorgeschlagen, Du solltest sie als Buch veröffentlichen, aber Du hattest gute Gründe, das zu verwerfen, viele seien nur aus dem Zusammenhang mit den vorherigen Einträgen verständlich – wofür dieser Dialog ein gutes Beispiel ist.

    Vielen Dank für den Hinweis auf Villèm Flusser – daß Kultur eine Art Flucht vor dem Bewußtsein der Sterblichkeit ist, hatte ich bisher allenfalls ironisch gedacht, nun lese ich, daß man ganz ernsthaft der Meinung sein kann. Seine Stufentheorie habe ich mit Skepsis gelesen: Was kommt nach der nulldimensionalen Stufe? Oder ist das die letzte Phase der menschlichen Entwicklung und Geschichte damit zu Ende? Auch scheint er, im Gegensatz zu Dir (und zu mir), den Übergang von der Textphase in eine nachalphabetische Phase der „Technobilder“ nicht nur für unausweichlich zu halten, sondern auch positiv zu bewerten. Daß das lineare Raum-Zeit-Kontinuum nur für Menschen selbstverständlich ist, die mit Texten vertraut sind, daß also Raum und Zeit von Menschen, die (zukünftig?) nicht mit Texten, sondern mit Fotos, Filmen und TV-Sendungen sozialisiert sind, anders wahrgenommen werden, ist für mich kaum vorstellbar … das ist natürlich kein Gegenargument. Den Dialog-/Diskurszusammenhang, der mit Freiheit verbunden ist, leuchtet mir unmittelbar ein, goßartig (nicht bei Wikipedia, sondern in einem anderen Text erklärt). Ich seh‘ schon, ich muß noch mehr von ihm lesen.

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    • Vielen Dank für deine Mail und dein neuerliches Lob der Nettesheim-Rubrik. Deine tiefgründige Auseinandersetzung mit Flusser freut mich besonders. Ich hatte ihn Ende der 1980-Jahre bei meinen Recherchen zur Schriftkultur entdeckt. Besonders sein Buch „Über Schrift“ war ziemlich aufschlussreich, weil es eine der wenigen philosophischen Betrachtungen des Mediums Schrift ist. Von den Linguisten sträflich vernachlässigt, ist es doch das Medium, über das vor der Machtübernahme der Bildwelten ein Großteil unserer Kommunikation ablief. Flusser hat sich auch mit der Fotografie beschäftigt, [Ins Universum der technischen Bilder], was für dich als Fotograf interessant ist. Einschränkend muss ich sagen, dass er oft von der Etymologie ausgehend seine Thesen entwickelt, was mir manchmal ein bisschen wie Falschmünzerei vorkommt. Seine Idee, „Daß das lineare Raum-Zeit-Kontinuum nur für Menschen selbstverständlich ist, die mit Texten vertraut sind, daß also Raum und Zeit von Menschen, die (zukünftig?) nicht mit Texten, sondern mit Fotos, Filmen und TV-Sendungen sozialisiert sind, anders wahrgenommen werden“, ist sicher spekulativ. Doch selbst wir, die wir noch mit einem Bein in der Buchkultur stehen, bemerken, wie sich unter dem Einfluss der digitalen Medien unser Handeln und mithin Denken verändert. Das lineare Denken ist ja wesentlich geprägt durch die Ausrichtung von Sprache in Zeilen von links nach rechts, also vom Emotionalen zum Kognitiven. Sprecher oraler Kulturen denken anders als wir, nehmen ihre Welt konkreter wahr, sind also mehr in der Welt, während der literale Mensch sie abstrakt/analytisch von außen betracht. Wie anders muss die Weltwahrnehmung sein, von Menschen, die primär durch Bildwelten sozialisiert sind? Letztens staunte ich über meine Enkelin (7) und den Enkel (5), die mir die Handlung der Amazon-Trickserie Lego-Ninja erzählen konnten, eine Serie, von der ich dachte, dass Kinder sie nicht sehen sollten, weil sie für mich völlig konfus ist. Die beiden kannten sich aber im konfusen Kosmos aus, haben also bereits eine andere Wahrnehmung von Bildwelten als ich.
      Bin gespannt auf deine Ausführungen, wenn du dich weiter mit Flussers Ideen beschäftigst.

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  3. Danke für Deine Erläuterungen. Ich finde es enorm schwer, wenn nicht unmöglich, eine andere Denkart nachzuempfinden, auch wenn ich mir vorstellen kann, daß es sie gibt. Nichtlineares ist konfuses Denken, denke ich sofort, aber ist wahrscheinlich gar nicht so, sondern auch hochkomplex.
    Danke für den Tipp, ich habe gesehen, es gibt sogar ein Buch mit dem Titel „Für eine Philosophie der Fotografie“. Mal schauen, ob ich am Wochenende in die Bibliothek komme.

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    • Aus meiner Bibliographie zu „Buchkultur im Abendrot:
      Flusser, Vilem 1990: Ins Universum der technischen Bilder, Göttingen In diesem Essay entwirft der Schriftphilosoph Flusser die Vision einer kommenden faschistoiden Gesellschaft der technischen Bilder. Sein utopisches Gegenmodell ist das der telematischen Gesellschaft, in der jeder Einzelne sich kompetent der technischen Medien bedient und durch die Diskussion aufgeht im weltweiten Wir, das durch das ständige Erzeugen von Information der Entropie entgegenwirkt.

      Flusser, Vilem 1992: Die Schrift, Frankfurt am Main
      Anregender Essayband über den Untergang der Schriftkultur und das Aufsteigen von Bild und Zahl. Seine Zukunftsvisionen von den möglichen kulturellen Auswirkungen sind allemal lesenswert.

      Es ist nicht auszuschließen, dass die Entwicklungen, die allesamt als „postfaktisch“ bezeichnet werden, exakt mit dem Aufsteigen eines nichtlinearen Denkens zusammenhängen.

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  4. Danke!

    Hier habe ich eine gute Zusammenfassung von Flussers „Koomunikologie“ gefunden:
    http://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Kommunikologie

    Besonders interessant: Die Unterscheidung von Dialog und Diskurs. Das Fernsehen ist danach ein typisches Diskursmedium, weil es keine Antwortmöglichkeit bietet. Das Internet, das Flusser ja noch nicht kannte, hat dagegen die Möglichkeit eines Dialogmediums, wenn man es denn entsprechend nutzt: „Dia­log als einen Prozess, „bei dem auf verschie­dene Gedächt­nisse aufge­teilte Infor­matio­nen zu einer neuen Infor­mation synthe­tisiert werden““ – das meint natürlich nicht das Füllen der Kommentarfelder mit Hate-speech. Wir sind gefragt, wir Blogger (unter anderen), mitzuhelfen, das Internet zu einem vernünftigen Dialog-Ort zu erhalten und werden zu lassen. Keine Ahnung, ob das dauerhaft gelingt.

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    • Danke für den Link. Im Dialogmedium Blog habe ich immer die von dir beschriebene Chance gesehen, bin jedoch mit den Jahren nicht mehr so begeistert, weil auch in der Blogosphäre die
      „vernünftigen Dialog-Orte“ selten sind.

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