The Yellow Kids

Heute Morgen legte ich mich gleich wieder hin. Es ist etwas Wunderbares, aufzustehen und sich wieder hinzulegen im wohligen Gefühl, keinen Termin zu haben und den ganzen Tag nichts zu müssen. Man muss freilich das Gegenteil kennen, wie ich es gut vier Jahrzehnte gekannt habe. Bei Sturm und Regen, Dunkelheit und Eisregen in aller Früh das Haus zu verlassen … Brrrr!
Gerne stehe ich, die Teetasse in der Hand, am Fenster und schaue auf die Ärmsten, die draußen vorbeihasten. Leute in Kapuzenjacken, eine Frau in schwarzen Gummistiefeln. Im stürmischen Regengrau leuchtet nur ein einsam gelbes Blümchen im Beet unten auf. Mein Obernachbar aus dem Dachgeschoss, angetan in Ganzkörperregenzeug schiebt seinen Motorroller vom Hof auf die Straße, setzt einen dicken Helm auf, um gleich loszufahren. Davon werde ich grad so müde, dass ich mich nochmal hinlege, auf die Gefahr hin, wieder einzuschlafen. Das ist ein Risiko, denn ich träume dann ziemlich wild und erwache meistens wie gerädert.

Ich glitt in einen Traum ganz dicht unter der Oberfläche zum Wachsein. Da war ich Beobachter in der Bildzeitungsredaktion. Alle Redakteurinnen und Redakteure trugen hellgraue Jogginghosen aus einer geheimnisvollen LED-Kunstfaser. Diese Hosen waren per Bluetooth mit einem Statistiktool verbunden, dessen Anzeige sich über einen großen Bildschirm verfolgen ließ. Dort waren alle Artikel des Tages aufgelistet, die auf Bild.de erschienen waren. Gemessen wurde die Zahl der Aufrufe. Nach einem geheimnisvollen Algorithmus, der die Zeit nach Erscheinen eines Artikels und die Klicks in ein Verhältnis setzte, färbten sich die Jogginghosen der jeweils für einen Artikel verantwortlichen Redakteure gelb und zwar beginnend im Schritt. Geringe Aufrufe brachten ein Zartgelb, viele Aufrufe ein tiefes Gelb wie Kuhpisse. Beim Chefredakteur Julian Reichelt liefen alle Daten zusammen. War Bild.de insgesamt erfolgreich, färbte sich sein Hemd schweinchenrosa, was einen hübschen Kontrast zur tiefgelben Jogginghose abgab. Natürlich war die Redaktion bestrebt, nicht blass zu bleiben. Man schrieb sich die Finger blutig, um sich digital einzunässen.

Ein schepperndes Röhren kam von der Straße her und riss mich aus dem Alptraum. Ich erwachte schweißgebadet und besoffen von den eigenen Schlafhormonen. Als ich mich mühsam aufgerichtet hatte und ins Bad wankte, stand ich noch sehr unter Eindruck und schwor mir, mich nie mehr nach dem Aufstehen wieder hinzulegen.
Draußen wurde die Straße aufgesägt.

Der Sammelbegriff Yellow Press für unseriöse Sensationsblätter geht auf die erst spät für die Zeitungsrotation entwickelte gelbe Druckfarbe zurück. Um damit zu prunken, erschien ab 1895 in der New York World der erste Zeitungs-Comic „The Yellow Kid.“ Der Name bezieht sich auf das gelbe Nachthemd, mit der die Titelfigur, das Kind Mickey Dugan, bekleidet ist. Tatsächlich gibt es bei Bild.de diese digitale Wandanzeige mit einer Statistik der Klickzahlen, und den Bild-Chef Julian Reichelt hatte ich unlängst im rosafarbenen Hemd gesehen.

Also eigentlich ein Wahrtraum.

13 Kommentare zu “The Yellow Kids

  1. Ich hatte den Begriff „Yellow press“ bisher nicht hinterfragt. Interessant nun zu wissen woher er stammt, lieber Jules.
    Ab und an bitte ich darum, dass du dich noch einmal hinlegst. Ich würde es montags so gerne tun. Die Träume die dich ereilen sind schon anstrengend. Das was daraus entsteht, aber wunderbar zu lesen.

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    • Bei uns sagt man ja eher „Regenbogenpresse:“ Beides verweist auf den Einsatz bunter Druckfarben. Vermutlich bist du zu jung, dich zu erinnern, liebe Mitzi, aber die seriöseren Zeitungen druckten bei uns bis Anfang 1990 nur schwarz-weiß,. Herzlichen Dank für dein Lob. Was das morgendliche Aufstehen betrifft, muss ich mir manchmal vor Augen führen, welcher Luxus das ist, nicht zu müssen.Freilich war ich heute trotzdem fleißig und habe einen lange fälligen Bürotag eingelegt.

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  2. Komische Beobachtung, die ich in Amerika gemacht habe: Alle nehmen Melatonin für besseren Schlaf. Gibt es in jedem Supermarkt dort. Nimmt man in D überhaupt nicht. Dafür sind in den USA sogar Drugstore-Angestellte völlig überfordert, wenn man sie nach dem hiesigen Mode-Nahrungsergänzungsmittel Hyaluronsäure fragt (nee, es liegt nicht an der Aussprache, ich habe ihnen sorgfältig HYALURONIC ACID ins Gerätchen getippt😄)

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  3. Det is gut für Bindegewebe, Haut und Gelenke, allerdings weiß niemand, wie viel man nehmen soll, in D enthält 1 Kapsel 50 oder 70 mg, Sportfreaks im Netz beziehen Sonderkapseln mit 300, was mir aber etwas übertrieben vorkommt, da der Körper es auch selbst herstellt😊Außerdem wichtiger Bestandteil in Kosmetika.

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