Zounds! Ohne erkennbaren Anlass ging mir nach dem Aufwachen das Wort „Zerknalltreibling“ durch den Kopf. Zerknalltreibling, was is’n das? Na, das deutsche Wort, mit dem der Allgemeine Deutsche Sprachverein im Nationalsozialimus das Fremdwort „Automobil“ ersetzen wollte. „Ts, Ts“, findet der gemeine Zerknalltreiblingsbesitzer, „glücklicherweise ist der Allgemeine Deutsche Sprachverein längst Geschichte, die gerechte Strafe für den perfiden Anschlag auf mein heiliges Automobil.“ Zu früh gefreut, den Verein gibts noch, nur im Tarnmäntelchen. Er heißt heute: Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS).
Über die Aufgaben und Ziele schreibt die GfdS auf ihrer Homepage: „Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ist eine politisch unabhängige Vereinigung zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache. Seit ihrer Gründung im Jahre 1947 sieht sie es als ihre Aufgabe an, in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für die deutsche Sprache zu vertiefen und ihre Funktion im globalen Rahmen sichtbar zu machen. (…)“
Anders als der Verein behauptet, wurde er nicht im Jahr 1947, sondern bereits 1885 als Allgemeiner Deutscher Sprachverein gegründet, unter Vorsitz des Braunschweiger Museumsdirektors Hermann Riegel. Ziel war die Reinigung der deutschen Sprache von Fremdwörtern. Der Kölner Germanist Fritz Tschirch schreibt, mit Riegels Vorsitz sei dem Sprachverein der „Fluch des Dilettantismus in die Wiege gelegt“, dem sich der Verein nie mehr zu entziehen vermocht habe. Das Publikationsorgan des Vereins war die „Muttersprache“. Freudig begrüßte die „Muttersprache“ im April 1933 die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Bis 1939 trieb der Allgemeine Deutsche Sprachverein exzessive Fremdwortjagd. Neben den skurrilen Eindeutschungsvorschlägen zu Automobil (Zerknalltreibling) oder Elektrizität (Bern); (E-Lok = Bernzieh) gebar der Verein auch ein wunderbar selbstentlarvendes: aus Profil sollte Gebüge werden. Ja, das kann man sich fein vorstellen, wie im 3. Reich die Menschen mit Profil durch die hundsföttisch Gebogenen verdrängt wurden. Dem Verein nutzte alle Kriecherei nichts. Mit dem von Hitler per Erlass verfügten Verbot der Fraktur und der Umstellung auf Lateinschrift kam 1940 auch das Aus für die Fremdwortjagd. Das Vereinsblatt „Muttersprache“ war schon im Jahr zuvor verboten worden. Der Verein war den Nazis mit seiner provinziellen Deutschtümelei peinlich geworden.
Im Jahr 1947 konstituierten sich die alten Herrschaften wieder, unter dem neuen Namen „Gesellschaft für deutsche Sprache“. Das Vereinsblatt heißt noch immer „Muttersprache“ und rügt weiterhin den Fremdwortgebrauch. Deshalb gilt nach wie vor Adornos Befund: „Fremdwörter sind die Juden der Sprache.“
Wie die Kleingärtner alljährlich ihre dicksten Kohlköpfe herzeigen, so präsentiert die GfdS traditionell „Wörter und Unwörter des Jahres“ und eine Hitparade der Vornamen. Finanziert wird die Spielerei zu 80 Prozent aus öffentlichen Mitteln. Immer wieder mischte sich die GfdS auch in die Diskussionen um Orthographiereformen, und man gestattet ihr sogar, Vertreter in den Rat für deutsche Rechtschreibung zu entsenden. Ebensogut könnte man den Kleingärtnern erlauben, den Regenwald zu jäten.
Womit wir bei der aktuellen Klimadiskussion angekommen sind. Zerknalltreiblinge stehen die meiste Zeit rum und blockieren unverschämt den öffentlichen Raum. Wenn sie bewegt werden, lärmen sie, verpesten unsere Atemluft, heizen das Klima auf und gefährden Mensch und Tier. In 50 Jahren werden sie hoffentlich ganz aus dem öffentlichen Leben verschwunden sein. Aber was ist mit den großen fetten Zerknalltreiblingen, deren Schöpfer und Besitzer den Knall schon verinnerlicht haben? Hier wäre ein kollektiver Zerknall ganz hübsch. Ich würde es so gern noch erleben.
Phantastisch!
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Und dein Kommentar erst!
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🙂
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Das war höchst interessant zu lesen. Danke mal wieder für diese Recherche in eine für mich bisher ganz fremde Welt. Ich wache ja manchmal auch mit merkwürdigen Wörtern im Kopf auf, aber Zerknalltreibling, man man man…
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Das freut mich, lieber Wolfgang. Hab zum Thema viel mehr Material als in einen Blogtext passt. Vielleicht schreibe ich eine Fortsetzung.
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Ja mach das lieber Jules, das wäre gut.
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Als ich „Zerknalltreibling“zum erstenmal hörte,habe ich gelacht.Aber diese WortKonstrukteure gab’s ja wirklich!
So habe ich MIR angewöhnt das Automobil als „Selbstbeweger“ zubezeichnen.-damit bin ich doch in guter Tradition. Oďer?
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Die Wortkonstrukteure der GfdS murksen immer noch gerne am Wortschatz herum. Im Jahr 1988 suchte man ungebeten einen „angemesseneren und humaneren Ausdruck für das `Retorten-Baby'“ und fand nach einem öffentlichen Wettbewerb den erbärmlichen Vorschlag „IVF-Kind“ preiswürdig:
„Die Abkürzung für `In-vitro-Fertilisation` (Befruchtung im Reagenzglas) wurde als bester Vorschlag zur Übernahme in den allgemeinen Sprachgebrauch angesehen, wie die GfdS mitteilte.“ (dpa vom 12.8.1988).
„Genauso haben wir uns das Humanum immer vorgestellt“, höhnte darauf die Süddeutsche Zeitung in ihrem STREIFLICHT.
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Wenn ich daran denke, mit welcher Selbstverständlichkeit Zerknalltreiblingbesitzer täglich mein Leben als Fahrradfahrer aufs Spiel setzen, kann ich kaum glauben, daß ich jemals etwas anderes erleben werde, auch nicht, wenn sich mehr und mehr Berntreiblinge durchsetzen. Die Fahrer bleiben die selben.
Jedes Jahr frage ich mich, wer eigentlich für diesen Blödsinn „Wort/Unwort des Jahres“ bezahlt wird, das scheint ja den gleichen Wert zu haben wie der neue Literaturnobelpreisträger, so, wie das immer über alle Medien und Hauptnachrichten verbreitet wird. Jetzt weiß ich’s.:-)
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Diesen Aspekt hatte ich vergessen zu erwähnen, drum jetzt nachträglich in den Text eingebaut. Eigentlich verdient der Umstand eine ausführliche Erwähnung. Zumindest die unmenschliche Sprachverwendung bei Verkehrstoten habe ich hier mal angesprochen:
http://trithemius.de/2009/07/24/zirkus-des-schlechten-geschmacks-mief-kopf-6581852/
Zum Thema Wort/Unwort steht einiges unter „Sprachrichter mit Narrenkappen“, unterm Text durch WP automatisch verlinkt.
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zerknalltreibling finde ich gutes wort. ich assoziiere sogleich zerplatzende suvs. luftballonen gleich zerplatzen automobile vor der haustüre, wenn man sie nur kräftig genug zuschlägt. schöne gedanken. man stelle sich vor der zerknalltreibling hätte sich als bezeichnung fürs automobil durchgesetzt, zerknalltreiblingsbahn(?) oder so, da lässt sich schwer ein fetisch aufbauen.
eine gesellschaft der deutschen sprache ist trotzdem so überflüssig, wie die meisten knalltüten, äh zerknalltreiblinge…
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Du hast Recht, zumal vor einiger Zeit diskutiert wurde, das Suffix -ling kennzeichne etwas Schlechtes: Fiesling, Schädling, Primitivling, Schwächling, Sträfling usw, weshalb wir nicht mehr Flüchtling sagen sollen, sondern Geflüchtete. An zerplatzende SUV hatte ich auch gedacht und drauf angespielt, zumal sie aufgeblasen genug sind. Grundsätzlich sind mir alle Sprachgesellschaften und selbsternannten Sprachpfleger suspekt.
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https://trittenheim.wordpress.com/2016/02/03/kaffeeplausch-mit-frau-nettesheim-schreiberling/
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Aber Frühling? Und Erstling? Und Fingerling? Und Sprössling? Und Pflegling? Prüfling?Zwilling? Liebling? Schönling? Na ja… Klingeling? Schmetterling?Das sind doch eigentlich eher nette Dinge.
Wenn man diese Wörter dazurechnet, bedeutet das Suffix -ling eigentlich eher eine Art unschuldige Passivität, ein „Nicht-selbst-am-eigenen-Zustand-Schuld-Sein“. Also wäre der „Flüchtling“ unschuldiger und freundlicher gemeint als der „Geflüchtete“.
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Ähnlich argumentiert meine Filialleiterin, Frau Nettesheim, in diesem Beitrag:
https://trittenheim.wordpress.com/2016/02/03/kaffeeplausch-mit-frau-nettesheim-schreiberling/
Deine Interpretation finde ich noch ein bisschen hübscher.
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In Vorgaben zu Korrekturen heißt es Prüfling. Vielleicht sollte ich da mal eine Eingabe machen…
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Ich glaube, dass sich positive und negative Begriffe mit dem Suffix -ling die Waage halten. Eine Eingabe wäre trotzdem gut, statt Prüfling „Reüssierende“ 😉
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Da freue ich mich auf die vielfältigen Druckfehler 😊
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Pingback: Zerknalltreibling, Zerknalltreibling — – Dümmlers Blog
Eine ausführliche und gelungene Aufarbeitung, lieber Jules. Nachvollziehbar, dass das Datum der Gründung lax ausgelegt wurde. Sympathisch sind sie mir aber auch unter neuem Namen nicht geworden.
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Danke fürs Lob, liebe Mitzi. Über Jahrzehnte habe ich genug über diesen dubiosen Sprachverein gesammelt. Falls ich eine Fortsetzung schreibe, wird er dir kaum sympathischer werden. 😉
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Das fürchte ich auch, lieber Jules.
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„Zerknalltreibling“? Dachte bei dem Wort zuerst an „Silvesterrakete“ oder „Handgranate“😊
Aber so schlau scheinen die Wächter der arischen Sprachpflege nicht gewesen zu sein. Die Eindeutschung von „Automobil“ wäre „Selbstfahrer“ oder „Selbstbeweger“, „Zerknalltreibling“ wäre der „Explosionsmotor“ bzw. eigentlich der darin befindliche Zylinder, der dann womöglich auch „Zerknalldrucksammelrohr“ genannt worden sein könnte😄😄😄
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„Selbstbeweger wäre die korrekte Übersetzung aus dem Griechischen. Warum die Wortschöpfer des Allgemeinen Sprachvereins noch die Vorstellung von Explosion in den Begriff aufnehmen wollten, erschließt sich mir auch nicht. Vielleicht hat man sich erfreut am Zerknall der Dinge? Mit „Zerknalldrucksammelrohr“ hättest du vielleicht in den 1930-ern bei den Sprachreinigern punkten können. Tja, der Fluch der späten Geburt 😉
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Schlimm gell😊Ich glaube, meine Worterfindungs- und -auseinanderklamüser-Gabe hätte sich dort schon profilieren, pardong, hervorreihen oder nach-vorn-ausrichten können😁
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Die Explosion gehört in das Wort wie das Amen in der Kirche, schließlich ist der Zerknall, der etwas vor sich her treibt, eine deutsche Erfindung, von Schwarz über Krupp, Otto, Diesel, zu Benz und den anderen🙂
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Überzeugend! Nur beim Schwarzpulver können die Chinesen die Erfindung geltend machen.
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Das stimmt, aber da sie nicht dazu neigen, Geheimrezepte weiterzuverkaufen, musste Mitteleuropa, wie auch beim Porzellan, eigene Mixturen erfinden😄
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Selbstbeweger hat auch den Vorteil, vage genug zu sein, dass nicht jede Änderung der Antriebstechnik das Wort obsolet macht. E-Autos wären mit Zerknalltreibling ja gar nicht mehr korrekt beschrieben, dabei ist der Antrieb mit das Egalste (nimm das, GfdS!) am Auto. Wenn man nicht gerade über die Antriebstechnik oder das Maß an Umweltunfreundlichkeit der Kisten redet, ist es sinnvoller, einen Oberbegriff zu haben, der von solchen Details unabhängig ist. Ins Detail kann man bei Bedarf immer noch gehen.
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Wobei im deutschen Wort „Selbstbeweger“ noch das Staunen steckt, dass man keine Kutschpferde vorspannen muss 😉
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Stimmt. Und wer unbedingt will kann die Zerknallerei trotzdem einbauen: Es gibt zerknallgetriebene und berngetriebene Selbstbeweger, und daraus ließen sich wahre Abkürzungsorgien ableiten…
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Lieber Jules,
Den gemeinen Zerknalltreibling will mein Gehirn unbedingt irgendwo zwischen ‚beringter Schleimrübling‘ oder ‚blauender Saftporling‘ verorten. Zerknalltreibling klingt mindestens ungenießbar bis hochgiftig.
Liebe Grüße,
Amélie
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Hihi, das gefällt mir, liebe Amélie, Giftig sind die Sporen des Zerknalltreiblings ja auch, und ist er in Bewegung, sollte man Berührungen vermeiden.
Lieben Gruß,
Jules
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Pingback: Knallköpfe – Dümmlers Blog
So ein schöner und schlauer Artikel… Ein wunderbares Wort… Zerknalltreibling…
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Vielen Dank.
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