Zwischen Aachen und Stolberg liegt das Dorf Mausbach. Am südwestlichen Ortsausgang entspringt der gleichnamige Bach und mündet nach etwa einem Kilometer in das Flüsschen Vicht. Dem Namen nach müssten sich an seinen Ufern zahlreiche Mäuse getummelt haben, aber diese Vorstellung entspricht nicht den Tatsachen. Mausbach hat wohl ursprünglich Mautbach geheißen. Irgendein adeliger Wegelagerer hat da einst Zoll erhoben. Wenn aus Maut über die Jahrhunderte Maus wird und Vorstellungen von Kleinnagern aufkommen, handelt es sich um Volksetymologie.
Volksetymologie stellt aufgrund von Wortähnlichkeiten falsche Zusammenhänge her. Sie ist ein wichtiger Antrieb des Sprachwandels. Davon unberührt existiert in der Sprachwissenschaft der Wunsch, eine Wortherkunft sicher zu klären, besonders wenn Wörterbücher keine, konkurrierende oder fragwürdige Etymologien angeben. Sicherheit könnte hier nur ein früher literarischer Fund bieten, aber der ist wie jeder Fund eben Glücksache.
Solches Glück hatte ich im Jahr 1990. Da fand ich in „Die Edda. Götterdichtung, Spruchweisheit und Heldengesänge der Germanen“, dt. von Felix Genzmer folgenden Eintrag, hier als Ausschnitt aus meinem Tagebuch zu sehen. Es geht um die 10. Rune in der Runenreihe, dem Futhark, genannt Naudiz = Not:
Der Duden, Herkunfts-Wörterbuch von 1963 verzeichnet hingegen: „Notnagel; der Nagel, den man in einer Zwangslage einschlägt; Helfer in einer Zwangslage.“ Das ist nur teilweise die heutige Wortbedeutung. Jedenfalls bezweifelte ich die Herleitung, weil ich noch nie von jemandem gehört habe, der in der Not einen Nagel einschlägt. Ich kanns mir nur bei einem Bergsteiger vorstellen, aber Bergsteiger benutzen Haken. Der Duden gibt keinen Beleg an, und so wirkt die Erklärung herbei gesucht. Ich teilte damals der Duden-Redaktion meinen Fund mit. Man verwies auf das Deutsche Wörterbuch, Stichwort „NOTHNAGEL“, wo man vermutlich abgeschrieben hatte, bedankte sich artig und versprach, man werde meinen Einwand bei einer Neuauflage „auswertend heranziehen“, was aber, soviel ich weiß, nicht geschah.
Bei Wikipedia gibt es auch einen Eintrag zu Notnagel. Demnach ist der Notnagel eine Sache und ein Begriff aus der Feuerwehrsprache, so plausibel wie Mäuse am Mausbach. Diesen Hinweis gibt das Duden-Herkunftswörterbuch aber nicht, so dass ich meine Herleitung nach wie vor plausibler finde, zumal die von mir gefundene Textstelle gewiss der älteste Beleg eines „Notnagels“ ist.
Finde ich eine sehr gute Erklärung. Mich wundert allerdings, dass man sich in alten Zeiten so genau auf die schmutzigen Fingernägel geguckt hat…
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Zur Not nahm man den Handrücken 😉 Da aber in der Vorstellung der Germanen die Kraft der Runen in ihrer Materialität steckte (vergleiche hier),war das Ritzen des Fingernagels für sie das Wirksamste, unabhängig von der Sauberkeit.
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Bei dir lernt man immer so viel. Und das, bevor der Unterricht beginnt 😊
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