Episoden aus meinem Lehrerdasein (3) – Die Liebe der Frauen (Tagebuchfunde)

Bei der Lehrer- und Lehrerinnenkonferenz kam ein Wort kam aufs Tapet, das meinem Empfinden nach einen unschlagbar oberen Platz auf der Hässlichkeitsskala besetzt: „Ranzenwache.“ Eine „Ranzenwache“ einzurichten empfahl eine neue Kollegin, weil angeblich etwas aus vor Klassenräumen abgelegten Ranzen gestohlen worden sei. Diese Frau ist genau der Typ, der solche Wortbildungen transportiert, mir in allem unangenehm, ich glaube, gänzlich durch und durch stockkonservativ und selbstgerecht. Eine Frau, hätte sie die Macht, das ganze Land mit Ranzenwachen überziehen würde.

    Ranzenwache die; -, -n;
    – halten, stehen;
    Landesweite Ranzenwachen;
    Ranzenwachablöung;
    Ranzenwachappell;
    Ranzenwachbataillonskommandeurin;
    Ranzenwachvergehen („Was? Die Kerls haben auf Ranzenwache gepennt!!?“);
    Ranzenwacherschießungskommando

*
Als ich an einem Freitag zu spät zu meiner 5e kam, erwartete mich Johannes B. im Treppenhaus und sagte, heute sei ich nur ein wenig zu spät. Darauf sagte ich: „Du kannst ja mal eine Zu-spät-komm-Statistik der Lehrer machen.“ Da sagt er: „Nee, das mache ich nicht. Da schneiden Sie zu schlecht ab.“

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Der gleiche Junge lief in der großen Pause neben mir her durchs PZ und sagte mehrmals „cool-cool!“, wobei er mich anstrahlte. Ich frage: „Was meinst du?“
Er: „Ich spiele ja in einer Bigband, und bisher war mein Trompetenlehrer für mich der coolste. Aber jetzt muss ich ihm leider sagen, dass er Konkurrenz bekommen hat.“
„Wer ist es?“
„Ja, Sie!“

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Die 13-jährige Schülerin Isabel belehrte mich, alle gutaussehenden Jungs seien auf der Hauptschule – denn wenn einer gut aussehe, sei er so von Mädchen umschwärmt, dass er überhaupt keine Motivation habe, sich in der Schule anzustrengen. Deshalb sei er auf der Hauptschule. Wenn er wolle, könne er natürlich auf dem Gymnasium sein, das wolle er aber eben nicht, da er alles Wichtige auch so bekäme: Die Liebe der Frauen.

14 Kommentare zu “Episoden aus meinem Lehrerdasein (3) – Die Liebe der Frauen (Tagebuchfunde)

  1. Interessante Deutung von Isabel, das mit den gutaussehenden Hauptschuljungs. Früher war das freilich anders. Da gingen wir gutaussehenden Jungs durch die Bank aufs Gymnasium, wobei die am besten und am allerbesten aussehenden unter uns gutaussehenden Jungs den Schulbesuch spätestens nach dem 10. Schuljahr abbrachen, wenn möglich ohne Abschlusszeugnis und vorbestraft. Dann konnte praktisch nichts mehr schiefgehen mit den Weibern.

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    • Isabel wäre heute 36, so lang ist’s her. Mit 21 wollte sie Zahnmedizin studieren. Danach verliert sich ihre Spur. Vermutlich wird sie als Zahnärztin keinen Paketboten geheiratet haben, weil für erwachsene Frauen auch noch andere Aspekte wichtig sind. Was du schreibst,betstätigt schon Jeremias Gotthelf in Die schwarze Spinne. Da ist der wüsteste Knecht den Mädgen am liebsten.

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      • Assoziationskette: die schwarze Spinne war mein erster und einziger Versuch, mich mit dem Lesen exakt an die Vorgaben des Lehrers zu halten, also nicht schon weiterzuleiten und nichts nachholen zu müssen. Bin voll auf die Nase geflogen, weil jede meiner Überlegungen/Interpretationen vom Text selbst zwei Seiten später widerlegt wurde.

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  2. Zur ordentlichen Ranzenwacht gehört natürlich auch eine Schülerwehr, die gegen dreiste Ranzenräuber vorgeht. Man muss das Ganze wirklich ernsthaft zuende denken. Tja. Ich bin leider immer brav zur Schule gegangen und habe über das Weltmanagement nachgedacht. Wenn ich damals nur schon geahnt hätte wieviel Spaß Schuleschwänzen machen kann, hätte ich es lockerer angehen lassen.

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  3. Pingback: Der letzte Tag im Juli

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