Trithemius
Als ich heute Morgen aufwachte, Frau Nettesheim, da schaute ich in die Krone der mächtigen Eiche vor meinem Schlafzimmerfenster. Es war noch nicht lange hell. Die Luft noch grau, das Blattwerk erschien im matten Grün. Da fiel der junge Morgen hinein.
Frau Nettesheim
Wie poetisch.
Trithemius
Kein Grund spöttisch zu werden. Ich lag noch eine Weile da. Plötzlich sickerte von oben Sonnenlicht ins Laubwerk, ließ die Blätter golden erstrahlen. Und ich dachte, was für einen Kitsch sich die Natur mal wieder erlaubt.
Frau Nettesheim
Definieren sie Kitsch!
Trithemius
Platte Ästhetik, die auf Zustimmung schielt, indem sie mit abgedroschenen Silmitteln sattsam bekannte Vorlieben bedient. Werbung, Populismus, Influenzismus, Comedy, Boulevardpresse, Schönschreiberei, Postkartenidyll – Produkte der puren Gefallsucht – das alles ist Kitsch.
Frau Nettesheim
Trifft aber nicht auf die Natur zu. Wenn die Sonne die Blätter golden erstrahlen lässt, steckt dahinter keine Absicht, keine Gefallsucht. Dass „golden“ ein Hochwertwort ist, das Ihre Schilderung kitschig erscheinen lässt, liegt doch an der Bewertung und Benutzung dieser Wörter durch die Sprachgemeinschaft, nicht an der Sonne.
Trithemius
Na gut. Dann würde ich gefallen wollen mit der Skulptur einer Eiche, deren oberen Blätter ich vergoldet habe, so als würde in die Krone gerade das Sonnenlicht hinein sickern. Das wäre demnach Kitsch.
Frau Nettesheim
Ganz und gar nicht. Es wäre ein polyfunktionales Kunstwerk.
Trithemius
Wie meinen?
Frau Nettesheim
Verschiedene Betrachter könnten unterschiedliche Bedeutungen sehen, die Kritik an der dekadenten Vergötterung des Goldes, etwa in Anspielung auf das vergoldete Steak eines Fußballspielers, die Kritik am Hang des Menschen, die Natur zu domestizieren, sie gar durch Erstickung abzutöten, Hinweis auf das künstliche Färben von Blumen, etwa Rosen, die Anspielung auf das Homonym Blatt in „Blattgold“ und „Baumblatt“ und vieles mehr. – Also wäre Ihr Skulptur kein Kitsch, sondern Kunst und erst recht, wenn Sie die Skulptur der Eiche mit oben vergoldeten Blättern gar nicht erschaffen, sondern nur das Konzept vorstellen. Böse Zungen könnten höchstens sagen, dass Sie zu faul oder ungeschickt wären, die Skulptur zu bauen.
Trithemius
Was machen Sie sich zum Sprachrohr böser Zungen, Frau Nettesheim? Ich dachte, Sie lieben mich.
Frau Nettesheim
Da wissen Sie mehr als ich, wie man in Köln sagt.
Der Vorteil an ausgedachter aber nicht realisierter Kunst ist, dass sie relativ wenig Ressourcen und Lagerfläche bindet und rückstandsfrei zu entsorgen ist. Im Angsicht der ökologischen Krise ist das durchaus ein relevantes Argument. Ich notiere das in meinem „Manifest der harmlosen Kunst“. Falls ich dazu mal eine Ausstellung mache, lade ich dich mit Baum und Brunnen dazu ein!
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Der Titel „Manifest der harmlosen Kunst“ gefällt mir ausnehmen gut wie auch dein Lob der ressourcen schonenden Konzept Art. Einer diesbezüglichen Einladung folge ich gern.
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Da die „harmlose Kunst“ materialminimalistisch ist, ist übrigens Kitsch per se unmöglich, da der ja nur materialisiert (und/oder kommerzialisiert) existiert.
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Womit du sprachlichen Kitsch ausschließt.
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es gibt wahrlich kitschiges, wie weinende clowns, harlekine und pantomimen. aber wenn der samy molcho das macht ist pantomime zumindest erträglich, zwischen kackenden tauben macht der harlekin plötzlich sinn und ein richtig triefend heulender clown hat durchaus etwas erbauliches an sich. ich glaube ich muss mir gleich bei meinem tandler um die ecke den bayerischen alten pfeifenraucher mit hut vor seiner almhütte im fakeblattgoldrahmen kaufen (paar kommas ,,,,)! liebe grüße aus nürnberg
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Ich hatte schon ein Gräuel vor Clowns, lange bevor die Horrorclowns auftauchten. Pantomimen sind ja per Definition Kleinkünstler.
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ja, clowns sind immer gruselig und ein bisschen schmuddelig und oft auch elendig 🙂
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Mit der Wendung „Im Spannungsfeld zwischen Kitsch und Kunst“ ist man bei fragwürdigen Werken (- auch denen der Natur) immer fein raus, wenn man sich nicht entscheiden kann.;-)
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Hast du „Im Spannungsfeld zwischen Kitsch und Kunst“ jemals gesagt? Da staun ich aber. 😉
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Ja, habe ich, aber das ist nicht weiter erstaunlich, nach fünf Jahren Studium der Kunstgeschichte (in meinem ausgübten Beruf habe ich aber nichts damit zu tun).
Ein Künstler wie Jeff Koons beispielsweise läßt sich ernsthaft gar nicht anders verorten als eben dort – im Spannungsfeld zwischen Kitsch und Kunst.
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Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass dir ein solcher Satz über die Lippen kommt. Koons hin oder her.
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🙂 Stimmt, so rede ich nicht, allenfalls mit ironisierender Absicht. Aber für eine kunsthistorische Abhandlung wäre das der richtige Jargon.
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Der Montag scheint sich auf die Laune von Frau Nettesheim auszuwirken. 😉
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Zuweilen ist sie halt streng.
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